DIE GESCHICHTE DES „FLIEGENDEN HOLLÄNDER“ IN LEIPZIG. Erinnerungen anlässlich der durchaus gelungenen Neuproduktion mit Premiere am 30.3.2019
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Liebe Merker-Redaktion, zunächst hat es mich als altem Leipziger natürlich gefreut, dass nun endlich der HOLLÄNDER in Leipzig wieder Einzug ins Opernhaus halten konnte und ich freue mich auch über die sehr ausführliche und freundliche Kritik von Herrn Dr. Waltenberger. Gut für Leipzig, auch gut für Wagner.-
In einem Punkt freilich ist Herr Dr.. Waltenberger einem Irrtum zum Oper gefallen. Die Vorgänger-Inszenierung wurde eben leider nicht nach der Premiere abgesetzt (was richtiger gewesen wäre!), nur die 2. Vorstellung fand nicht statt, weil der Sänger der Titelpartie aus der Produktion ausstieg. Ab der 3. Vorstellung wurde wieder – in „abgeschwächter“ Form, gespielt – und das war ein Skandal. Ich habe damals meinem Ärger Luft gemacht und 9 Seiten über den HOLLÄNDER in Leipzig geschrieben, die natürlich nicht veröffentlicht wurden – von wem auch ? Beim MERKER war ich damals leider noch nicht.- Aber Herrn Dr. Waltenberger und Ihnen zur Kenntnis, übersende ich mein damaliges (also unveröffentlichtes) Manuskript – zum Schmunzeln!
Freundliche Grüsse
Werner P. Seiferth
Werner P. Seiferth / 02.01.2009
„… ein saures Amt, und heut’ zumal – wohl gibt’s mit der Kreide manche Qual…“
Von der Schwierigkeit, einen Vorstellungsbericht über die aktuelle Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ in Leipzig zu schreiben…
Die Ausgangslage:
Die Oper der Geburtsstadt Richard Wagners legte in der Spielzeit 2008/09 erstmals ein „Wagner-Abo“ auf – ein guter, wichtiger Schritt. Schon aus Solidarität mit der Oper, aus Anhänglichkeit an die Stadt und aus Liebe zu Richard Wagner und seinen Werken habe ich dieses Abo sofort gebucht. Im Rahmen dessen stand auch eine „Holländer“-Aufführung am 10.12.2008 auf dem Programm, kein Grund also, zur Premiere dieser Inszenierung etwa acht Wochen früher – am 11.10.2008 – extra nach Leipzig zu fahren. So spektakulär wird der „Holländer“ kaum werden in einer Stadt, die ja gerade in Fragen Wagner-Interpretation eine bestimmte Vorgeschichte hat. Dachte man.
Die Vorgeschichte:
Richard Wagner stammt wohl aus Leipzig, indessen wurden seine Werke nicht immer mit Liebe und Vielfalt in Leipzig gepflegt. Die Leipziger Erstaufführung des „Fliegenden Holländers“ zum Beispiel fand erst am 27.09.1862 statt – fast zwanzig Jahre nach dessen Uraufführung im benachbarten Dresden. Bis zu Wagners Tod im Jahre 1883 brachte es der „Holländer“ in Leipzig gerade mal auf 68 Vorstellungen, stand mit diesem Ergebnis weit abgeschlagen nach „Tannhäuser“ (145) und „Lohengrin“ (116) an dritter Stelle des Wagnerschen Werkkanons.
Nach dem zweiten Weltkrieg gehörte das Werk ebenfalls nicht zu den Vorreitern der WagnerPflege in Leipzig: im Behelfshaus „Dreilinden“ wurde zuerst ein „Tristan“ inszeniert, der „Holländer“ konnte nur an zweiter Stelle am 01.07.1948 wieder im Spielplan erscheinen – in einer „werkgerechten“ Inszenierung von Heinz Rückert, die immerhin in kaum wechselnder Besetzung 51 Vorstellungen erlebte, Glanzzeit des einstmals berühmten Leipziger Opernensembles: Willi Schwenkreis als Holländer musste nur ein einziges mal durch einen „Gast“ ersetzt werden (Manfred Huebner aus Dresden). Ferdinand Bürgmann sang in allen Vorstellungen den Erik, Edla Moskalenko als Mary wurde zweimal, Paul Reinecke als Steuermann achtmal durch Alternativbesetzungen vertreten; Hedwig Müller (später in Berlin: Müller-Bütow) alternierte mit Margarete Bäumer als Senta, die letzten beiden Vorstellungen sang dann schon Elisabeth Rose; lediglich der Daland ging anfangs von Gast zu Gast – da im Ensemble ein seriöser Bass fehlte: nach sieben verschiedenen Gästen kam Weihnachten 1948 erstmals Hans Krämer mit dieser Partie zum Einsatz, die er künftighin in den folgenden 32 Vorstellungen sang. Helmut Leo hatte die musikalische Leitung, ab und zu dirigierte auch der GMD Paul Schmitz und 1951 „übernahm“ der neu berufene GMD Helmut Seydelmann die Leitung der letzten beiden Aufführungen, am 14.09.1951 fand die letzte Vorstellung in dieser Inszenierung statt. So einfach war das einmal. Keine Skandale, keine Ausfälle, keine Proteste. (Aber doch eine „Story“: dieser „Holländer“ musste weichen, weil am 02.09.1951 das neue Leitungsteam Helmut Seydelmann und Operndirektor Heinrich Voigt fulminant mit einer Neuinszenierung des „Otello“ begonnen hatte; Handicap auf der kleinen „Dreilinden“-Bühne – der Hafen war der Hafen, sowohl im „Holländer“ als auch im „Otello“. Das hatte bei dem Stück zwar gute Tradition, denn in der Dresdner Uraufführung wurde ja auch das „Haus aus Wilhelm Tell“ benutzt, in Leipzig aber wurde die Sache contra Wagner „bereinigt“…!)
„Bereinigt“ für nicht einmal sieben Jahre, denn schon am 20.06.1956 durfte der „Holländer“ in „Dreilinden“ erneut an Land gehen: Friedrich Ammermann inszenierte das Werk neu, nun schon Erfahrungen des Neuen Bayreuth verarbeitend, will sagen: im zweiten Akt gab es das alles beherrschende „Bild“ des Holländers nicht mehr über der Tür – aus dem rechten Turm strahlte ein greller Scheinwerfer: das „bedeutete“ das Bildnis des Holländers. Diese Methode hatte sogar Vorteile: sowohl Senta in ihrer Ballade, mehr aber noch Erik und Senta in ihrer Szene konnten nach vorn singen und dennoch das „Bild“ voll im Blick haben; ich erinnere, dass namentlich bei der Stelle „Fühlst du den Schmerz…“, wo Senta den Erik vor das Bild führen konnte, dies eine sehr nachhaltige Wirkung erzielte. Ansonsten wurde das Werk so gespielt, wie man es kannte: zwei Schiffe (Projektionen und wenige Versatzstücke, Altmeister Max Elten wusste, was er auf diesem „Nudelbrett“ von Bühne bewerkstelligen konnte!), die Damen saßen an Spinnrädern, Senta durfte durch ihren Opfertod den Holländer erlösen – natürlich wurde die spätere Fassung mit dem Harfenschluss gespielt. Diskussionsstoff bot auch nicht die Inszenierung, die Sache mit dem Bild wurde zur Kenntnis genommen. Wesentlich mehr erregte die Gemüter, dass Leipzig durch einen Heldenbariton-Wechsel über keinen ausreichenden Holländer mehr verfügte, denn Wolf Eckert, der mit dieser Partie seinen Einstand gab und es nach Schwenkreis ohnehin sehr schwer hatte, konnte in dem Fach nicht bestehen, (das zeigte sich für die „Besucher“ schon bei der Premiere, die Opernleitung merkte es erst einige Jahre später, als der Hans Sachs bei der Neueröffnung des Hauses am KarlMarx-Platz mit zwei Gästen und am eigenen Heldenbariton vorbei besetzt werden musste). Alles andere war in besten Händen: Heinz Fricke dirigierte seine erste Wagner-Oper, der zuverlässige Hans Krämer war der alleinige Daland, seine Tochter wurde von den Damen Elisabeth Rose und Christa Maria Ziese alternierend gesungen, den Erik gab wieder Bürgmann, nun mit Ernst Gruber alternierend, Paul Reinecke war weiterhin ein souveräner Steuermann, als Mary alternierte Lilo Vollrath mit Katrin Wölzl – 42 mal wurde die Inszenierung gespielt, fast bis zum Ende der „Dreilinden“-Ära.
Auch bis zur nächsten Inszenierung vergingen keine sieben Jahre: am 14.10.1962 brachte Joachim Herz im neuen Opernhaus eine Neuinszenierung heraus, der nun wirklich keiner nachsagen konnte, sie sei „vom Blatt“ gespielt gewesen. Herz hatte das Werk genau analysiert und die beiden grundlegenden Charaktere der Musik und des Werkes zum bestimmenden Moment seiner Inszenierung gemacht, das er „das Romantische und die Wirklichkeit“ nannte: in die reale Welt des Daland, die in der Entstehungszeit des Werkes, also zu Beginn des 19. Jahrhunderts, angesiedelt war und deren Musik in der Tradition der deutschen Oper steht (Weber, Marschner) bricht eine „neue, fremde“ Welt ein – die des Holländers, zeitlich gesehen im Zeitalter der spanischen Seemacht etwa, mit der neuen, die Grenzen der herkömmlichen Oper sprengenden Musik. Das war als Ganzes und in der Unbedingtheit der Wiedergabe schon ein „großer Wurf“ – wenn auch über Details gestritten wurde. Diskussionen sollte es ja geben, sie sind für die Lebendigkeit der Kunst notwendig. Es ging nicht mehr darum, routiniert und mit allen technisch zu Gebote stehenden Mitteln eine „Holländer“-Inszenierung zu gestalten, es ging darum, Diskussionen anzuregen, das Werk in eine konkrete Zeit mit ihren gesellschaftlichen Bedingtheiten zu stellen und aus ihnen heraus zu erklären, wie es gemeint sein könnte. Herz hat nie von „Werktreue“, immer von „Werkgerechtigkeit“ gesprochen; er hat das Werk „anders“ auf die Szene gebracht, als das Stammpublikum es gewöhnt war, aber er hat mit seiner Spiel- und Erzählweise überzeugt und die Skeptiker letztlich auf seine Seite gebracht. Und er hat das Werk bis in die kleinste instrumentale Verästelung, bis zum scheinbar unwichtigsten Nebensatz „beherrscht“. Ihm war die Story nie egal, seine „Einfälle“ dienten seiner Interpretation des Wagnerschen Werkes.
Wagner wurde wörtlich genommen, zumindest was Musik und Text betraf. Es gab keine Ungereimtheiten, auch wenn die Anlage des Daland als habgierigen, den „Verkauf“ der Tochter billigend in Kauf nehmenden Schacherers zunächst schockierte, auch wenn man sich fragen mochte, wieso ein Schiff, das einen Dampfmotor hat (von „Hilfs“-motor war im Programmheft die Rede!) nicht mit letzter Kraft doch noch in den Heimathafen kommen müsste. Die Damen der Gesellschaft waren auch nicht einseitig auf das Spinnrad konzentriert, einige strickten und stickten – aber es waren wenigstens noch Spinnräder vorhanden und die Frage der Mary, weshalb Senta nicht mitspinnen würde, ging nicht ins Leere. Am heißesten wurde die Schlußlösung diskutiert: Senta sprang nicht ins Wasser, sie starb den „Herztod“ am Lande, weil sie ohne den Holländer nicht mehr leben konnte. Das war umstritten, sicher. Es war aber ebenso auch möglich – man konnte auch argumentieren, dass ein Mädchen im Konflikt des Schlusses an Herzversagen stirbt. Das war nicht von Wagner, das hat Diskussionen ausgelöst – zu Tumulten oder Publikumsverweigerung hat es nicht geführt. Musikalisch wurde die (in Leipzig erstmals pausenlose!) Aufführung von Rolf Reuter geleitet, später auch von Paul Schmitz und Vaclav Neumann. Die Sängerbesetzungen waren teilweise sehr unterschiedlich, der neuralgische Punkt war auch hier wieder die Titelpartie, in der Premiere mit Wilhelm Klemm besetzt, einem sehr vielseitigen Sänger, der ursprünglich in Leipzig der Nachfolger des Bassbuffos Georg Hruschka werden sollte (und mit einem grandiosen Beckmesser auch wurde), dessen Domäne aber mehr das Charakterfach gewesen sein mochte. Durch den Ausfall von Eckert war er in der Heldenbariton-Nische gelandet, die nicht unbedingt seinem Leistungsvermögen entsprach; erst später übernahm Rainer Lüdeke die Partie, der dann für Jahre das Heldenbariton-Fach in Leipzig zuverlässig erfüllte. Senta war anfangs Hanne-Lore Kuhse, eine Wagner-Sängerin von großem Format, gesanglich keine Wünsche offen lassend, mit ihr alternierte wieder Christa-Maria Ziese. Später sang Ursula Brömme die Partie, sie erfüllte die Herz’schen Anforderungen im Schauspielerischen voll und ganz, stieß allerdings gesanglich spürbar an ihre Grenzen. Erik war mit Lothar Anders und Rolf Apreck, Daland wieder mit Hans Krämer, alternierend mit Alfred Wroblewski, besetzt. Die Tenöre Walter Schmidt, Werner Atzrodt und Christo Todorow sangen den Steuermann und Katrin Wölzl war einmal mehr eine zuverlässige Mary, nun mit Eva Fleischer alternierend. Die Inszenierung lief über elf Jahre und erreichte 81 Aufführungen – eine Erfolgsgeschichte.
Als der „Fliegende Holländer“ am 09.02.1986 abermals in Leipzig zur Premiere kam, hatten sich die Zeiten gründlich geändert: Herz war schon einige Jahre nicht mehr hier, die Frage des Generalmusikdirektors im „Umbruch“ begriffen (Gert Bahner wurde zum Berater des Generalintendanten „weggelobt“, Johannes Winkler aus Schwerin wurde neu verpflichtet), das Sänger-Ensemble von einst nicht mehr vorhanden und – möglicherweise die empfindlichste Entwicklung – das Publikum nicht mehr in ausreichendem Maße an der Oper interessiert. Die DDR eilte ihrem Ende zu, man wusste nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Nach Herz in Leipzig Wagner zu inszenieren war ohnehin sehr schwierig und Günter Lohse versuchte es erst gar nicht mit wieder einer „neuen Sicht“: er bediente das Stück ohne die Erkenntnisse zu ignorieren, die durch Herz erworben worden waren. Dass seine Inszenierung nahezu konventionell anmutete, lag wohl mehr an der Tatsache, dass er die große Bühne des Opernhauses nicht voll nutzte, das Stück mehr bei Ibsen bzw. Thomas Mann sah (in zeitlicher Frage); der Charakter des Werkes gab ihm dazu noch Recht – eigentlich ist es ja ein Kammerspiel, das zwischen zwei, peripher auch drei oder vier Leuten sich abspielt. Handwerklich war das alles sauber gearbeitet, eine solide Aufführung, die ihr Publikum erreichte, auch wenn es das Haus nicht mehr stürmte. In der Endzeit der DDR gab es wohl andere Interessen, als in die Oper zu gehen, nach der Wiedervereinigung (die Inszenierung lief in beiden Zeiträumen) trieb es die so lange „Eingeschlossenen“ zu neuen Ufern, auch die lagen nicht auf der Bühne der Opernhäuser, jedenfalls nicht der „östlichen“. Man sollte diesen
Umstand der gewissenhaften Aufführung nicht anlasten, sie hat sich viele Jahre bewährt und erreichte – mit teilweise längeren Unterbrechungen – insgesamt 75 Aufführungen bis zum Ende des Jahrtausends. Mit Rainer Lüdeke als Holländer und Konrad Rupf als Daland hatte sie zwei herausragende Protagonisten des Leipziger Ensembles an Bord, in den beiden Tenorpartien wurde damals hoffnungsvoller Nachwuchs eingesetzt (Dieter Schwartner als Erik, Horst Gebhardt als Steuermann und auch als Erik, Hans-Dirk Mundt in beiden Partien). Die Senta war von Anfang an mit Gästen besetzt (Eva-Maria Bundschuh und Waltraud Vogel), da Leipzig keine eigene Sängerin im hochdramatischen Sopranfach mehr besaß. Insbesondere nach der Wende kamen weitere Gäste in verschiedenen Partien hinzu…
Fassen wir die ausführliche „Vorgeschichte“ zusammen: nach dem zweiten Weltkrieg gab es in Leipzig vier Inszenierungen der Oper, die das Stück nicht nur erkennen ließen, sondern es mit Ernsthaftigkeit, Phantasie und jeweils neu durchdacht im Sinne seines Schöpfers auf die Bühne brachten und dem Publikum damit in höchstem Maße dienten. Das Publikum lohnte es mit 51 + 42 + 81 + 75 = 249 Aufführungen. Generationen von Menschen haben in Leipzig das Stück erleben können und sind ihm oft begeistert gefolgt. Der „Holländer“ war im Spielplan das, was man „eine sichere Bank“ nennt: man konnte ihn ansetzen, wann immer man wollte, er erreichte sein Publikum und verfehlte nie seine Wirkung.
Die Rechtslage:
Im urheberrechtlichen Sinne ist das Werk seit 1913 „frei“, d. h., man darf es, ohne Tantiemen zahlen zu müssen, jederzeit spielen. Der Autor ist lange tot – man muss, man kann keinen mehr fragen, wie es gemacht werden darf. Generationen von Intendanten, Regisseuren, Dirigenten, Bühnenbildnern und Sängern wussten, was von ihnen gefordert war und haben – ohne einer hohlen Tradition geistlos zu verfallen (was es mancherorts in Einzelfällen durchaus auch gab) – ihr Bestes getan, um dem Werk zu dienen. Intendanten haben (falls sie nicht selbst inszenierten) in der Regel darüber gewacht, dass der Geist der Werke auf ihren Bühnen zu Leben erweckt wurde. (In der Regel kannten sie damals nicht nur die Werke und ihre Noten, sondern auch das, was Wagner selbst über die Aufführung des „Holländers“ geschrieben hatte…)
Man muss keine gesellschaftspolitischen Erwägungen anstellen oder über die Rolle eines Intendanten philosophieren: er, oder vor ihm noch der Operndirektor (falls es einen gibt), oder vor dem noch der Chefregisseur (falls es einen gibt) ist verantwortlich für das, was auf seiner Bühne stattfindet. Das gehört zum Berufsbild des Intendanten, unabhängig vom gesellschaftlichen System, dem das Theater verpflichtet ist. Ein Intendant, der in der Premiere etwas sieht, das ihm in der Generalprobe nicht nur vorenthalten, sondern bösartig unterschlagen wurde, hat sein Haus nicht im Griff. Ein Intendant, der billigend in Kauf nimmt, dass ein Dirigent und der Sänger der Titelpartie „erwägen“ aus der Produktion auszusteigen, und nicht spätestens dann hinterfragt, was da eigentlich stattfindet, erfüllt seine Aufgabe schlecht. Jedenfalls wäre ein solcher Vorgang zu Zeiten eines Generalintendanten Karl Kayser und eines Operndirektors Joachim Herz unvorstellbar gewesen – und das hat nichts mit der DDR oder dem Sozialismus und der Partei, sondern nur etwas mit Verantwortung im Theater zu tun.
Nach einer desaströsen Premiere gibt es wenige Möglichkeiten, Dinge zu verändern. Im früheren „System“ der Anrechtsbespielung, des Ensemble- und Repertoiretheaters gab es eine einfache Lösung: man setzte eine solche Inszenierung sofort wieder ab, ohne dem Theater weiterhin zu schaden (übrigens in Leipzig-Dreilinden 1957 geschehen mit der „Margarethe“-Inszenierung von Friedrich Ammermann; das war kein „Politikum“, das war eine Frage der Ästhetik und des Ansehens des Opernhauses. Da gab es keine endlosen Briefe oder Debatten, da wurde gehandelt und nach wenigen Wochen war der Vorgang vergessen – das Repertoire und das Ensemble fingen die Sache ab, will heißen: es wurden andere Stücke angesetzt, man hatte keine Zwänge).
Gegenwärtig haben wir ein anderes System am Theater, das sich angeblich „besser rechnet“ und höhere künstlerische Qualität garantieren soll. Damit liegen Termine für Vorstellungen mindestens für den Verlauf einer Spielzeit fest, sie sind an einzelne Sänger-Engagements gebunden und somit für beide Seiten verbindlich – komme da, was auch wolle. Die heutigen „Macher“ halten dieses System für besser, die alten meckernden Praktiker von früher misstrauen ihm finanziell und theaterpraktisch, auch künstlerisch. Wie dem auch sei: heute muss „Holländer“ stattfinden, wenn „Holländer“ im Plan steht. Sänger spielen keine Rolle, sie sind austauschbar (weshalb man auch sofort einen Ersatz für den „ausgestiegenen“ Titelsänger hatte).
Inszenierungen kann man nicht austauschen, Regie hat sich zum eigenschöpferischen Kunstwerk gemausert, d. h., der Intendant hat – oder bekommt (siehe Dresden „Csardasfürstin“) – kein Recht, in eine Inszenierung einzugreifen. Das kann man kritisieren, es ist aber so. Und ich möchte ausdrücklich hinzufügen, dass man zu keiner Zeit von einem Regisseur erwarten konnte, dass er das Ergebnis seiner Arbeit mit einigen Proben hätte verändern sollen wie denn auch kein „Über“-Regisseur in der Lage ist, eine Inszenierung von fremder Hand mit wenigen Proben „in Ordnung zu bringen“. Das hat nie funktioniert, das kann nicht funktionieren.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, der Sache zu entgehen: erstens – man erfährt vor dem gesamten Arbeitsprozess, was jemand mit welchem Stück vorhat. Das ist eine schwierige Frage, weil ihr immer mit dem Argument begegnet werden kann, dass dies und jenes erst im Laufe der Proben entstehen würde und man jetzt noch nicht verbindlich sagen könne, wie es denn nun wirklich wird. Wenn Regie eigenständige „schöpferische Kunst“ ist – es geht um Oper, nicht um einen Film! – kann dem kaum widersprochen werden. Also fällt Möglichkeit 1 in der Regel weg.
Möglichkeit 2 – man setzt die Inszenierung, wenn man meint, sie nicht vertreten zu können, ersatzlos vom Spielplan ab und regelt alle Verbindlichkeiten – d. h., man bezahlt alle entstandenen und entstehenden Honorare, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Das ist eine riskante Entscheidung, die einem Intendanten auch den Kopf kosten kann. Außerdem könnte es sein, dass man seitens der „Macher“ noch mit einer Unterlassungsklage konfrontiert wird, die – erfolgreicher Verlauf vorausgesetzt – Entschädigungszahlungen bzw. Strafhonorare (wegen künstlerischer bzw. Ruf-Schädigung) in astronomischen Summen erfordern würde.
Dem Intendanten bleibt nichts anderes übrig, als jeden Mist, den er ins Haus bekommt, auch bis zum bitteren Ende selbst zu verkosten. Das ist die gegenwärtige Rechtslage – sie muss dringend verändert werden, denn bei der Oper handelt es sich in der Regel um ein fertiges Kunstwerk, dem man nur nach-schöpferisch zu dienen hat – und zwar alle, die mit ihr etwas zu tun haben, aber eben auch und ganz besonders die Regisseure! Wir reden hier von fertigen Kunstwerken, die z. T. über hundert Jahre ihre Lebensfähigkeit bewiesen haben. Es geht um inszenieren, also „in Szene setzen“, nicht um eine neue Bearbeitung – die steht jedem frei, wenn er urheberrechtlich dazu befugt ist und das schöpferische Vermögen hat, etwas Eigenständiges neu zu schaffen. In diesem Sinne sagt das Grundgesetz, „die Kunst ist frei“ – ein hohes Gut, das es zu schützen gilt, das aber nicht durch Einzelne diskreditiert werden darf. Jedenfalls ist dringend geboten, trotz der „Freiheit der Kunst“, die Rechte eines Richard Wagner, eines Mozart, Verdi oder Beethoven zu schützen. Sie sind derzeiten auf unseren Bühnen Freiwild und – wie das Wort schon sagt – zum Abschuss freigegeben!
Halbe Lösungen oder Kompromisse schaden der Kunst immer. Der Glaube, man hätte eine Inszenierung „gerettet“, weil man Dinge, die einem – auf welchen Wegen auch immer! – vorenthalten wurden, später wieder beseitigt hat, ist ein Irrglaube. Die Inszenierung ist auch ohne diese „Gewalt-Videos“ eine Verfälschung des Wagnerschen Werkes von A bis Z und eine Verarschung des Publikums obendrein. Was immer der Intendant gewusst oder nicht gewusst haben mag – er hat sein Haus, das Metier und die Erwartungshaltung seines Publikums – für das das ganze Spektakel doch eigentlich stattfindet – nicht im Griff. Ein solcher Intendant müsste eigentlich die Verantwortung für den Schaden übernehmen und sein Amt zur Verfügung stellen. Zumindest ließe das die Rechtslage zu.
Die Inszenierung:
Man betritt das Opernhaus und steht einer offenen Bühne gegenüber, die mit dem Werk, das man erwartet, nichts zu tun hat: ein Sammelsurium von Spielzeughäusern, eine Art Stadtautobahn, oben rechts ein Monitor in Großformat, der später ständig irgend welche Fernsehbilder verschwommen, scharf, verschlüsselt – je nachdem – von sich gibt. Was es soll, habe ich den ganzen Abend über nicht begriffen, ich bin es auch leid, immer mit Dingen konfrontiert zu werden, die mich von der Musik ablenken. Also habe ich diesen „Bildschirm“ im Verlaufe des Abends nicht ernsthaft und ununterbrochen betrachtet.
Das Gewandhausorchester spielt anfangs unter Leopold Hager eine sehr schöne, vorwiegend auch auf klangliche Balance ausgerichtete Ouvertüre in gemäßigtem Tempo und mit Harfenschluss – man kann sich nicht vorstellen, dass der Abend so falsch werden kann (wenn man mal vom „Bühnenbild“ absieht!). Doch noch ehe man den freudigen Gedanken zu Ende gedacht hat, greift die Regie unerbittlich ein: der von der Seite her die Vorbühne bevölkernde Herrenchor in moderner Straßenkleidung (Hemd und Hose) zerlatscht den Harfenschluss, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass diese Sch—musik nicht dazu gehört. Frontal zum Zuschauer singen sie ihren „Ho-ho“-Chor, wichtigste Handlung dabei ist, dass sie sich ihrer Oberhemden entledigen und dann alle mit freiem Oberkörper herumstehen, die Hemden werden missmutig auf den Bühnenboden geworfen, wo sie vorerst liegen bleiben.
Der Oberboss, dessen Habitus einem Zuhälter alle Ehre machen würde, gibt dem anderen Herrn, der da noch herumsteht, die Anweisung, irgend eine Wache zu übernehmen – man versteht nicht, was das soll; jedenfalls verschwindet der Chef und der um die Wache Gebetene richtet sich auf dem Dach eines der Spielzeug-Hochhäuser gemütlich ein. Nun folgt das, was gemeinhin als „Lied des Steuermannes“ eigentlich jedes Kind kennt. Nur handelt es sich hier um keinen Steuermann, der irgend eine Schiffswache hält, sondern ein junger Herr singt ein Lied über einen Männerwitz, der nicht mal einer ist: Wagner hat ja über alle möglichen Dinge geschrieben und erklärt – es findet sich nirgendwo eine Erklärung dafür, dass in der (von modernen Regisseuren und Dramaturgen) arg strapazierten so genannten „Urfassung“ ein offensichtlicher Schreibfehler steht. Statt des bekannten „Ach lieber Südwind, blas noch mehr“ steht da tatsächlich – „ach liebes Mädel blas noch mehr“. Natürlich kann man mit solch eminenter philologischer Rarität eine Theorie begründen und eine Konzeption daraus machen; ich bleibe dabei – es ist nicht mal ein Männerwitz, sondern höchstens ein Schreibfehler. Wie dem auch sei, die „Erkenntnisse“, die auf diese Weise gewonnen wurden, animierten die Regie dazu, ein Mädel auftreten zu lassen in Gestalt einer „Tänzerin“ (Programmzettel!), die den Singenden umgarnt, alle Hüllen der Reihe nach fallen lässt – jeweils natürlich gegen
Entgelt, versteht sich. Dem Herrn entwächst derweilen ein Riesenpenis in Gestalt einer gewaltigen Salatgurke aus dem Hosenstall! Das Steuermannslied als Porno-Nummer – spätestens hier hätte es doch in der Intendanz klingeln müssen!
Dann kommt der „Holländer“ – das heißt, es kommt gar nichts. Ein müder Mann schleppt sich mit einem Mikrofonständer auf die Bühne (oder sollte es ein Kreuz sein, ich weiß es nicht). Er singt seinen Monolog, indem er von einem Hochhaus zum anderen geht, auch über die Hochhäuser klettert und man weiß nicht, was man mehr beachten soll – die Kletterkünste oder den Gesang. Wenn der Chef von vorhin wieder kommt (in der Oper ist das der Daland) verhandeln zwei Leute über Geschäfte, die mit einer Tochter zusammenhängen, die der glatzköpfige Daland zu verhökern hat – der Fremde reicht ihm dann gleich das goldene Kalb. Ansonsten singen beide munter die Rampe entlang, von Partnerbeziehung oder dergleichen ungestört. Kostümiertes Konzert mit unpassenden Kostümen und falschem Bühnenbild. Dort, wo der Wagner meinte, dass der Südwind nun wieder blasen müsste, kommen die Chorherren aus den Löchern des Bildes und man denkt, die müssten ja nun ihre Hemden holen. Machen sie aber nicht. Aus dem Off singen sie dann den Chor, den der Wagner überflüssigerweise an dieser Stelle sich noch zu komponieren erdreistete.
Pausenlos geht die Sache weiter – es fällt kein Vorhang, die Hochhäuser sind nun Stehtische für Damen, die aus Handtaschen irgendeine Handarbeit oder dergleichen auspacken und sich irgendwie beschäftigen. Eine unter ihnen meckert immer rum, man versteht gar nicht, was die alle falsch gemacht haben sollen. Dann drängt sich eine nicht mehr ganz junge Frau am Portal entlang, geht in den Zuschauerraum, schreitet durch die Reihen, setzt sich auf die Orchesterbrüstung, steht aber wieder auf und nimmt sich endlich der Hemden an, die da einen Akt lang herumliegen. Tüchtig, wie Hausfrauen nun einmal sind, holt sie aus der Bühnengasse einen Eimer, in den sie die Kleidungsstücke stopft. Es wird aber nicht gewaschen, sie wringt die Sachen nur aus – dabei stellt man fest, dass rote Farbe in dem Eimer gewesen sein muss, jedenfalls beschmiert sich die Dame – die in konventionellen Aufführungen Senta heißt und vor einem Bild herumsitzt! – mit dieser roten Farbe, oder, um im modernen Sprachgebrauch der heutigen Inszenatoren zu bleiben, sie befleckt sich mit Blut. Warum wird nicht verraten, geht offensichtlich auch keinen etwas an.
Ein anderer Mann bringt eine Nachricht, die die Damen etwas hektisch werden lässt, jedenfalls packen sie ihre Handtaschen emsig wieder ein, um verschwinden zu können. Nun will der Nachrichtenüberbringer offensichtlich mit der Hemdenwäscherin reden, die aber hat blutige Hände und ein blutiges Gesicht. Mit anderen Worten – sie muss erst einmal duschen. Die aufmerksame Bühnentechnik schiebt ihr eine Duschkabine auf die Bühne und sie kann tun, was in ihrer Lage sicherlich notwendig ist. (Da gibt es dann Leute, die sich fragten, ob sie mit oder ohne Unterwäsche geduscht hat – angesichts des Entsetzens über das ganze Geschehen ist mir das, mit Verlaub, scheißegal!) Aber dem Nachrichtenüberbringer ist es nicht egal, denn der möchte mit in die Dusche, aber sie lässt ihn nicht hinein. (An dieser Stelle soll in der Premiere „Hosen runter“ gerufen worden sein, offensichtlich haben auch andere Menschen die tiefsinnige Szene falsch verstanden.) Nach dem Duschen gibt es dann die wunderbare Gelegenheit, eine Darstellerin, die immerhin ständig auf der Bühne ist, im Bademantel auftreten zu lassen. Damit wäre die Kostümfrage auch geklärt – man braucht dazu keinen Kostümbildner, das, was man an „Kostümen“ in dem Werk zu sehen bekam, hängt in jedem C&A- bzw. H&M auf der Stange, einfallslos und uniform, wie alles. Nur keine Phantasie vergeuden! Der glatzköpfige Chef singt ein langes Lied, was offensichtlich keinen so richtig interessiert und spielt mit seinem Jackett, das er im 1. Duett mit dem Fremden weit von sich geworfen hatte, und nun wieder findet – welch’ ein Glück.
Nun ist die frisch geduschte Bademantel-Dame mit dem Fremden allein und sie spielen gemeinsam das schon bekannte Spiel: Wie turnt man über Hochhausdächer. Währenddem geht das Duett zu Ende, welches der Wagner schrieb. Und man muss der Regie bescheinigen, dass sie so gekonnt von der Musik ablenkte, dass man nicht gemerkt hat, wie die Protagonisten über die allerorten sehr gefürchtete Kadenz weggekommen sind. Jedenfalls vom Hochhausdach sind sie nicht gefallen. Die Sache kommt zur Kulmination: es wird Sekt getrunken, welche Freude. Auch der Nachrichtenüberbringer trinkt mit Sekt und lädt den Fremdling dazu ein. Schließlich sind sie ja beide nicht bei der Bademantel-Zunzel gelandet, also können sie auch miteinander saufen, das ist wenigstens etwas Reelles. Sie lassen die Dame mit ihrem Kummer allein zurück. Auch andere Leute sind nicht zur Stelle, plötzlich fällt ein Schuss – da es hinter mir sang, drehte ich mich um – der Chor stand nun im Rang in den offenen Türen, um sich der wenigen Final-Takte zu entledigen, dadurch konnte ich nicht feststellen, wer nun geschossen hat – vielleicht hat sie sich auch selbst getötet, ist ja auch nicht so schlimm.
Und das war’s dann wohl auch schon. Nun spielt die Musik den Schluss ohne die Harfen und dann ist die Komödie aus. Der Saal bleibt dunkel, damit alle richtig applaudieren sollen. Das haben viele Leute auch gemacht, offensichtlich wollten sie sich bei den mittelprächtigen Sängern bedanken, was ja auch in Ordnung ist.
Ein Einzelner aus dem halb gefüllten Parkett schrie „buh“ – dann gab es normalen MittwochsApplaus, durchwachsen. So konnte man also nach 2 ½ Stunden wenigstens wieder ins Freie und auf die Toilette – was man gesehen hatte, wusste man beim Heimweg schon in der Straßenbahn nicht mehr; nach einem „sprachlosen“ Abend versuchte man an den nächsten Tagen sich zu erinnern, was denn so alles zu der Musik von Wagner gespielt worden ist. Den Sinn habe ich bis heute – einen Monat danach! – nicht begriffen. Und froh war ich, dass ich meine fast 14-jährige Tochter nicht mitgenommen habe ins Opernhaus – sie hätte mir sonst wieder mit Recht vorwerfen müssen, dass ich ihr eine andere Geschichte erzählt hatte, als sie auf der Bühne zu sehen bekam.
Da fällt mir ein, dass es ja in diesem Werk auch eine recht spannende Szene zwischen zwei rivalisierenden Mannschaften gibt – ich gestehe, mich daran nicht erinnern zu können, aber gestrichen war die Szene nicht, denn der Dirigent musste wieder mal gegen ein Tonband oder eine Chorübertragung aus dem Off ankämpfen.
Das Resümee
Nach der Premiere schlugen die Wogen hoch und die zweite Vorstellung wurde abgesagt, weil der Sänger der Titelrolle aus der Produktion ausgestiegen war. Die „Gewalt-Videos“, die dem Intendanten vorenthalten wurden, fielen nun wieder weg. Geblieben ist ein Opernabend, von dem man nicht erkennen kann, in welcher Weise er das Werk, das allgemein bekannt, offensichtlich bis heute beliebt und vielen Menschen vertraut ist, darbieten will. Man konnte über Wieland Wagner streiten, man konnte mit Joachim Herz diskutieren – immer war Wagner und seine Absicht Gegenstand der Auseinandersetzungen. Hier ist das nicht der Fall. Es findet statt ein Abend, der völlig zusammenhanglos irgend welche Personenkonstellationen aneinander reiht, der weder den Text und erst recht nicht die Musik überhaupt nur zur Kenntnis nimmt – und der dirigierende Kapellmeister hat völlig zu Recht in der Presse erklärt, dass dies seine erste Operneinstudierung war, bei der er auf Textverständlichkeit keinen Wert gelegt hat, weil der Text ohnehin nichts mit der Sache zu tun hat.
Ein einzelner Besucher von außerhalb soll Klage erhoben haben bei einem deutschen Gericht, der arme Narr. Er wird kein Recht bekommen. Der Leipziger Wagner-Verband hat gefordert, die Aufführung sofort gänzlich abzusetzen, weil sie dem Ansehen der Wagnerstadt Leipzig schadet. Die Begründung stimmt, auch kann der Verband das fordern; danach richten muss der Intendant sich nicht – so lange er meint, nun wäre die Inszenierung in Ordnung hat er ja ohnehin nicht begriffen, worum es in dem Stück geht und dass die Botschaft des Werkes auf seiner Bühne mit Füßen getreten wird. Leipzig hat, nachdem es sich mit hohen propagandistischem und finanziellem Aufwand erst seines Generalmusikdirektors (jedenfalls in der Oper) und dann des eigentlichen Opernintendanten entledigte, nun gerade wieder eine „Leitung“ installiert: es gibt neben dem verantwortlichen „kommissarischen“ Intendanten eine Operndirektorin und einen Chefregisseur. Leider muss ich den Herrschaften unterstellen, dass sie allesamt nichts von Richard Wagner und seinem „Fliegenden Holländer“ verstehen, denn sonst hätte doch mal einer seine Verantwortung wahrnehmen müssen. (Dem Chefregisseur Konwitschny darf man das allerdings nicht unterstellen, denn der hat mit einer eigenen Inszenierung eben dieses Werkes in München und Moskau bewiesen, dass er es zumindest kennt; man darf ihm denn doch aber wohl Pflichtverletzung unterstellen, denn er hätte helfend eingreifen müssen, jedenfalls von Amts wegen!)
Nach diesem Abend kann ich die Leute verstehen, die in Leipzig (und anderswo) öffentlich darüber nachdenken, ob man Opernhäuser in dieser, unserer Zeit noch subventionieren muss, darf oder sollte. Mögen diejenigen, die das, was da stattfand, für Kunst, Fortschritt oder „künstlerische Freiheit“ halten, ihre Ergüsse auf eigene Kosten produzieren, dann stünde auch die Frage nicht im Raum, ob man dem Regisseur die Gage ganz oder nur zur Hälfte auszahlen sollte. Ein öffentlich subventioniertes Etablissement zur Verballhornung von Meisterwerken der deutschen Kultur braucht man nicht. Es war nicht nur ein vergeudeter, es war ein ekelhafter Abend, scheußlich. In einer gewissen Weise taten mir die Sänger leid, dass sie – vertraglich dazu verdammt – für diesen Unsinn zur Verfügung stehen mussten, weshalb ich zum ersten Male in meiner 50-jährigen „Besucherpraxis“ keine Einschätzungen ihrer Leistungen hier folgen lasse – so viel Fairness wenigstens muss sein.
P.S.: Auf dem Programmzettel steht: Die Produktion wurde begleitet von Studenten der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig im Rahmen ihrer Ausbildung in der Fachrichtung Dramaturgie unter der Anleitung von Prof. Dr. Carl Hegemann. Der Bildungsnotstand in Deutschland scheint wohl doch keine Erfindung der Gestrigen zu sein; jedenfalls ist der Weg zur „Bildungsrepublik“ – die unsere Bundeskanzlerin und Opernfreundin Merkel immer beschwört – ganz offensichtlich noch weiter, als des Holländers Irrfahrten in sieben mal sieben Jahren…
„DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ von Richard Wagner Aufführung im Opernhaus Leipzig am Mittwoch, den 10. 12. 2008 Musikalische Leitung: Leopold Hager; Inszenierung: Michael von zur Mühlen; Bühne: Natascha von Steiger; Kostüme: Dorothee Scheiffarth; Chöre: Sören Eckhoff James Moellenhoff (Daland), Mlada Khudoley (Senta), Stefan Vinke (Erik), Susan Maclean (Mary), Dan Karlström (Steuermann), Wolfgang Brendel (Holländer), [Peggy Plätzer (Tänzerin)