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Kultur auf dem Traditionssegler in Flensburg

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Wenn ich mit Leuten aus Hessen oder Nordrhein-Westfalen über meine Geburtsstadt Flensburg spreche und erwähne, dass ich mir vorstellen könnte dort eines Tages wieder zu wohnen, werde ich oft ungläubig angeschaut und gefragt, ob ich denn in diesem kulturellen Niemandsland klarkommen könne. Sie meinen es ja nicht böse und wissen es einfach nicht besser…

Neben dem Schleswig-Holsteinischen Landestheater und Konzerten im Rahmen des weltweit bekannten Schleswig-Holstein Musikfestivals in der Förderstadt existiert eine vielfältige Kulturszene in dieser an der Grenze zu Dänemark gelegenen Stadt. Ein Neuzugang, der erst in diesem Frühsommer in der Fördestadt angelegt hat, ist das „Malgari Café“ auf dem Traditionssegler H.F. 42 Providentia aus dem Jahre 1895.

Das maritime Kulturdenkmal wurde in den letzten sechs Jahren von Schülerinnen und Schülern, dem Team und den Bootsbauern der Ostseeschule restauriert. 2017 wurde es als Traditionsschiff zugelassen. Es wurde seither für Charterfahrten und Umweltbildungsfahrten genutzt.

Ausgerechnet ein Mann aus Recklinghausen, was so überhaupt nicht am Meer liegt, hat im Frühjahr 2018 das Schiffsmanagement und den Betrieb des „Farm to table“ Cafés übernommen. Neben Bordkonzerten und Lesungen finden auch philosophische Abende oder „Künstlerschnacks“ und Workshops statt. Wenn ich mir nun vorstelle, die Neuproduktion des „Fliegenden Holländers“, die am 27.10. im Stadttheater Premiere feiert, mit Auftritten auf der Providentia zu verbinden, geht meine Phantasie sicher mit mir durch. Ein klassisches Konzert mit Cello und Violine hat es aber bereits an Deck gegeben.

Wie Heiko Niehaus (der Mann aus Recklinghausen) sagt, ist er für Musiker nahezu aller Art offen. Bisher sieht das Format nur Hutkonzerte bei freiem Eintritt vor. Die Musiker erhalten das, was das Publikum nach der Darbietung in den Hut schmeißt. Vielleicht lassen sich Künstler aus entfernteren Regionen ja mit einer freien Übernachtung im ebenfalls auf dem Schiff befindlichen Bed and Breakfast an die Förde locken. Die zwei Kojen mit je vier Betten an Bord werden ansonsten für EUR 35,- pro Person / Bett an Leute vermietet, denen Hotelzimmer oder Ferienwohnungen zu langweilig sind.

Niehaus studierte an der Universität der Gastronomischen Wissenschaften in Pollenzo in Italien und verbindet sein Netzwerk zu kleinbäuerlichen Betrieben in Italien mit örtlichen Anbietern, so dass er im Genussladen an Bord Produkte der Förde-Region und Spezialtäten aus dem Piemont anbieten kann. Im Café mit seinen 16 Sitzplätzen in der messe und 22 Sitzplätzen an Deck gibt es alles was die Region rund um Flensburg zu bieten hat.

Der Name des Cafés leitet sich übrigens von Bergbauern ab, die ihr Wissen über Lebensmittelhandwerk und dem Leben in Einklang mit der Natur von Generation zu Generation weitergeben.

Allen Lesern, die es nicht persönlich bis in Deutschlands hohen Norden schaffen, sei ein Besuch der Webseite www.malgari.de empfohlen.

(Text: Marc Rohde  –  Fotos: Café Malgari)


Franz Theodor Csokors Theaterstück „3. November 1918“. Eine Vermisstenanzeige

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Franz Theodor Csokors Theaterstück „3. November 1918“

Eine Vermisstenanzeige

Von Manfred A. Schmid

Gesucht wird das Stück „3. November 1918“ von Franz Theodor Csokor, zuletzt gesehen vor vielen, vielen Jahren irgendwo auf einer Bühne im seligen Österreich. Dabei war das Drama des großen – heute leider ziemlich vergessenen – österreichischen Autors, Demokraten und kosmopolitischen Patrioten Csokor einst dem Theaterpublikum hierzulande bestens vertraut. Anlässlich des Todes des PEN-Präsidenten 1969 würdigte ihn das Nachrichtenmagazin Der Spiegel folgendermaßen: „1938 emigrierte der entschiedene Nazi-Gegner nach Polen, später nach Rumänien und Jugoslawien. Das neue Österreich ehrte ihn mit vielen Preisen; dauerhaften Erfolg hatte er mit dem Schauspiel vom Ende der Donaumonarchie, „3. November 1918“ — es wird an jedem 26. Oktober, dem österreichischen Nationalfeiertag, im Burgtheater aufgeführt.

Ob das 1937 am Burgtheater uraufgeführte Stück, wie es im Spiegel-Nachruf heißt, dort in grauer Vorzeit tatsächlich jedes Jahr von neuem angesetzt worden war, und bis wann derlei an der Burg Tradition gewesen sein soll, lässt sich auf Anhieb nicht so leicht eruieren. Ich erinnere mich aber lebhaft daran, es dort tatsächlich einmal gesehen zu haben und schwer beeindruckt gewesen zu sein. Warum ist es dann urplötzlich von der Bühne verschwunden? Etwa weil es zum „Pflichtstück“ am Nationalfeiertag herabgekommen war und man es dann einfach satt hatte?Das wäre eine mögliche Erklärung, begründet aber nicht, warum man es jetzt, nach jahrzehntelanger Abstinenz, nicht doch wieder hervorholen sollte.

Das Jahr 2018 wäre jedenfalls der geeignete Zeitpunkt gewesen, sich dieses Stücks wieder anzunehmen und zu prüfen, was es uns heute über das Ende der Donaumonarchie und den Beginn des neuen Österreich zu sagen hat. Jedoch: Auf keinem der Spielpläne der großen Bühnen ist es zu finden, nicht einmal kleine Häuser haben eine szenische Aufführung angesetzt. Nur das Theater Spielraum in Wien hat für 2. und 3. November immerhin Leseaufführungen angekündigt. Diese tapfere Bühne verdient, vor den Vorhang gerufen werden. Und Hingehen ist angeraten: Anhören ist besser als nichts.

Und der ORF? Er hat zwar 2014 – aus Anlass des Gedenkens des Kriegsausbruchs 1914 – die erstklassige Verfilmung des Theaterstücks durch Edwin Zbonek ausgestrahlt, heuer aber darauf verzichtet. Nach vier Jahren hätte der bekannte Wiederholungstäter ORF diesen Film gewiss erst recht wieder aus dem Archiv holen und abstauben können. Eine Chance, den Film – besetzt u.a. mit Erik Frey, Erich Auer, Hanns Obonya, Fritz Muliar, Kurt Sowinetz und Peter Matic – zu sehen, gibt es erfreulicher Weise doch: Im November im Rahmen der Viennale. Die großen Bühnen des Landes aber haben durch die Bank diese Möglichkeit heuer offenbar verpasst oder bewusst ignoriert. Aus welchen Gründen auch immer: Es ist und bleibt eine Schande.

Schade um eine ungenützte Gelegenheit. Denn das Stück von Franz Theodor Csoskor ist kein ideologisch verdächtiger, wehmütiger Abgesang auf die Donaumonarchie, der einer vergangenen Welt nachtrauert. Csokor erzählt, in komprimierter Form anhand weniger Personen–eine Handvoll Soldaten der altösterreichischen Armee in einem zum Behelfslazarett umfunktionierten Schutzhaus in den kärntnerischen Karawanken -wie sich am Ende des verlorenen Krieges ein jeder neu orientiert und forsch unbekanntes Neuland betritt. Nur der Artillerieoberst von Radosin kämpft bis zum Schluss für die Idee der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und begeht, als er das Scheitern zur Kenntnis nehmen muss, Selbstmord. Der Zerfall des Vielvölkerstaates ist nach der Kapitulation nicht mehr aufzuhalten. Neue selbständige Nationalstaaten – Ungarn Tschechoslowakei, Jugoslawien – kündigen sich an, und neue Konflikte in Kärnten (Stichwort „Abwehrkampf“) bereiten sich vor.

Als überzeugter Humanist trat Csokor in seinen Dramen entschieden für Frieden, Freiheit und Menschenrechte ein. Werte, die inzwischen so überholt scheinen, dass die österreichischen Dramaturgen und Theatermacher sein wohl bestes Stück, „3. November 1918“, gänzlich aus ihren Augen verloren haben?

Es offenbar nicht damit getan, eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Man müsste einen Finderlohn ausloben: Einen (aller Voraussicht nach) tollen und nachdenklich machenden Theaterabend! Genügt das nicht?

KÖLN/ Borr (St. Martinus von Borr: Ein Bier für die Orgel. Sensationelle Initiative erreicht Orgeleinbau

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KÖLN/ Umgebung (St. Martinus von Borr): Ein Bier für die Orgel.  Sensationelle Initiative erreicht Orgeleinbau

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger


St. Martinus von Borr (die Kirche ist 800 Jahre alt). Copyright: Andrea Matzker


Die Paschenorgel von Borr.  Copyright: Andrea Matzker

Ohne die Kröten des Erzbistums! Wir sind froh, dass wir das geschafft haben!“, so die leidenschaftlichen Worte von Pastor Willi Josef Platz während seiner Ansprache und Predigt zum Orgelfest mit der Einweihung der Paschen-Orgel in der zauberhaften Kirche St. Martinus von Borr, einem Juwel in der Kölner Umgebung. Auch wenn der Kölner Weihbischof Rolf Steinhäuser mit dem ersten Orgelpfeifen-Kauf ein Zeichen setzte, so musste die 380-Seelengemeinde von Borr doch ganz allein 45.000 € aus der Erde stampfen, um sich die gewünschte Orgel in ihre Pfarrkirche einbauen lassen zu können. Bei dem Instrument handelt es sich um eine ganz besondere Gelegenheit, die man nicht verpassen wollte. So initiierte der engagierte Kirchenorganist und Unterhaltungsmusiker Donatos Haus, der gleich in sechs Kirchen zur Messe spielt, gemeinsam mit vielen Freunden und Kollegen die Spendenaktion mit einzelnen Orgelpfeifen. Und die ländlichen Bewohner ließen sich bei Gott nicht lumpen! Es gab einzelne Spender, die gleich 56 Pfeifen auf einmal spendeten. Darunter auch Johannes Kuhn, der das gesamte Spitzprinzipal Zweifuß mit 56 Pfeifen für seine Frau Angelika Bär in Patenschaft übernahm. Seitdem heißt das Register auch „Angelika Zweifuß“. Damit aber nicht genug der Spitzfindigkeiten. Der Orgelbaumeister und Harmoniumbauer Björn Daniel Reich, der die gesamte Installation und den Umbau vornahm, wurde kurzfristig zum „Harmoniumumbauer“ umbenannt. In der ganzen Umgebung gibt es kaum eine Person, die sich nicht ehrenamtlich für die Orgel engagiert hat.


Feierliche Einweihung mit dem „Orgelbier“. Copyright: Andrea Matzker

Aber nun war guter Rat teuer, denn es fehlten noch 10.000 €, um den Deal perfekt zu machen. Also setzte man sich in einer Garage der  Braufreunde zusammen und kreierte ein Bier, das in der Folge als das sogenannte Orgelbier durch Spenden die noch fehlenden 10.000 € einbringen sollte. Brauereimeister und Biersommelier Klaus Keller entschloss sich kurzerhand, 650 Liter unentgeltlich speziell zugunsten der Orgel zu brauen. Es entstand ein sogenanntes Craft-Bier, ein Wieß, wie das Kölsch ursprünglich bis 1920 ungefiltert auch hieß. Ausgezeichnete Hopfensorten wie Mandarina Bavaria kommen darin zum Tragen und geben dem Trank eine ganz besondere Note, gemäß dem Motto der gesamten Aktion “Sei eine Note in Gottes Melodie“.


Sie tranken das erste „Orgelbier“ für den karitativen Zweck: Domorganist Ulrich Brüggemann, Astrid Krahforst, Organist und Initiator Donatos Haus, Orgelbaumeister Björn Daniel Reich. Copyright: Andrea Matzker

Einziger Wermutstropfen bei dem gelungenen Orgelfest war, dass der ausdrücklich eingeladene Ehrengast Rainer Maria Kardinal Woelki der Einladung nicht folgen konnte, zumindest um das Bier zu probieren. Außerdem wäre die Idee ja auch nicht fernliegend, damit eine Erzbischöfliche Privatbrauerei zu gründen, womit alle Beteiligten freudig und lachend einverstanden wären.

DÜSSELDORF: HA Schult rüttelt auf – The Spirit of Düsseldorf

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DÜSSELDORF: HA Schult rüttelt auf – The Spirit of Düsseldorf

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger


The Spirit of Düsseldorf HA Schult.

Der Kölner Künstler HA Schult ist immer eine Reise wert, ob es nun das goldene Flügelauto in Köln sei, seine Armee von Müllsoldaten in Köln, Rom oder auf der chinesischen Mauer, sein Kunsthaus für Obdachlose am Rhein oder Körper aus Cola-Dosen. Ihm zuzuhören, ist jedes Mal neu ein Erlebnis, denn er sagt ohne Umschweife, worum es ihm geht. “Kunst ist die höchste Form von Freiheit. Der Künstler spricht das aus, was der Gesellschaft auf der Zunge liegt. Freiheit ist ein Gut, das wir gemeinsam verteidigen müssen.“


Düsseldorf: Wall of Freedom

Sein Name steht für außergewöhnliche und aufsehenerregende Kunstwerke. Diesmal schuf er mit der Wall Of Freedom ein bewegliches Symbol für die Freiheit. In der Landeshauptstadt Düsseldorf, der er als ehemaliger Absolvent der Kunstakademie seit längster Zeit verbunden ist, verewigte er einen Teil der über 20.000 Zuschriften zum Thema Freiheit auf der bunt gestalteten Fassade des Andreasquartiers und kehrte somit wiederholt zurück – back to the roots – zum Ort seines Studiums.


Oberbürgermeister Thomas Geisel und HA Schult

Am 21. September wird seine große Ausstellung The Spirit Of Düsseldorf in Mitarbeit von drei bedeutenden Galeristen im Andreasquartier eröffnet und dauert voraussichtlich mindestens bis zum 25. November 2018. Das Ensemble ist ein Beispiel für gelungene Revitalisierung von Innenstädten und ihrer Wiedergewinnung für anspruchsvolles Wohnen. Benannt nach der benachbarten barocken Klosterkirche St. Andreas, steht im Zentrum des Quartiers das zu Beginn des 19. Jahrhunderts erbaute Amts- und Landgericht, das nach allen Regeln des Denkmalschutzes inmitten der Düsseldorfer Altstadt unmittelbar zwischen Kunstakademie und Kunstsammlung NRW in ein modernes Wohn- und Büroquartier umgewandelt wurde. HA Schult stattete Foyer, Treppenhaus, Wandelgänge, Suiten und den Garten mit seinen Kunstwerken aus. So sieht man zum Beispiel in der Castle-Suite seine Aktion auf dem Markusplatz von Venedig aus dem Jahre 1976 eindrucksvoll dargestellt.


Düsseldorf/ Andreas-Quartier. Copyright: Andrea Matzker

Der findige Künstler erfand im Rahmen dieser Ausstellung einen neuen Beruf: Der weltweit einzige Art Concierge arbeitet für ihn in seiner Galerie im Andreasquartier, wo man ihn persönlich besuchen kann. Während der Ausstellungsdauer finden verschiedene Führungen statt, die auch Einblick in die von HA Schult unterstützten Ateliers für junge Künstler bieten. Auch sei auf eine Plakette hingewiesen, die, an der Außenwand der Galerie angebracht, an einen bedeutenden Düsseldorfer erinnert, der durch die Wirklichkeit und im Anschluss durch den Roman Effi Briest zu trauriger Berühmtheit gelangte: Emil Hartwich, im Roman Major Crampas, der sich einstmals im Düsseldorfer Malkasten und im Schloss Benrath in dessen Bewohnerin Elisabeth von Plotho, verheiratete von Ardenne, und die Titelfigur in Fontanes Roman, verliebte und daraufhin von deren Ehemann viel zu jung erschossen wurde, denn ansonsten hätte er noch wesentlich mehr freidenkerische und gesundheitspolitische Erneuerungen auf internationalem Terrain erreicht. Hartwich war im Übrigen neben seinem Beruf als Amtsrichter ein anerkannter Maler und hervorragender Cellist.


Düsseldorf/ Andreas-Quartier. Copyright: Andrea Matzker

Der Kölner HA Schult gehört zu den Düsseldorfer Jonges, die von Emil Hartwich gegründet wurden und in der Düsseldorfer Kulturwelt eine große Rolle spielen. Von einer angeblichen Fehde zwischen den zwei Städten am Rhein ist bei diesem Projekt nichts zu spüren, denn der Künstler hat seinen berühmten Autodom, bestehend aus den gesamten Teilen eines Ford Fiesta, im Innenhof des Andreasquartiers installiert.


Autodom, bestehend aus den gesamten Teilen eines Ford Fiesta, im Innenhof des Andreasquartiers. Oberbürgermeister Thomas Geisel und HA Schult. Copyright: Andrea Matzker

 

Mitschrift des Vortrags von RR Prof. Hubert Deutsch „Ein Leben für die Oper“ am 23. April 2008 in der Villa Wertheimstein in Wien, moderiert von Dr. Peter Dusek

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Mitschrift des Vortrags von RR Prof. Hubert Deutsch

 „Ein Leben für die Oper“

 am 23. April 2008 in der Villa Wertheimstein in Wien,

moderiert von Dr. Peter Dusek

Bildergebnis für prof. hubert deutsch - Ein Leben für die Oper
Prof. Hubert Deutsch. Foto: Franz Johann Morgenbesser

 

Dusek: Wie ich Sie kenne, Prof. Deutsch, werden Sie sicher wissen, was am Tag Ihrer Geburt am Abend in der Staatsoper gespielt wurde.

 Deutsch: „Tosca“ mit Vera Schwarz, Alfred Piccaver und Emil Schipper.

Meine erste Opernvorstellung habe ich im Alter von 10 Jahren gesehen; es waren „Die Meistersinger“ von Richard Wagner in der Wiener Volksoper. Den Hans Sachs sang ein gewisser Josef Schwarz, aber nicht der berühmte Josef Schwarz, sondern ein Namensvetter, der war damals in Prag engagiert; das habe ich aber erst nachher herausgefunden. Ein Herr Depser, von dem ich nichts Näheres weiß, sang den Walther von Stolzing. Es hat später einen Herrn Tepsa gegeben, beide waren Heldentenöre.

 

Dusek: Das Elternhaus, wie in Wien üblich, und die Großeltern gingen die auch in die Oper?

 

Deutsch: Meine Eltern waren beide Beamte, mein Vater ein Bundesbahninspektor, meine Mutter eine Beamtin des E-Werks. Von 11 Vorfahren bin ich der einzige Nachkomme. Bei meinem Vater waren es vier Geschwister, bei meiner Mutter sieben, aber ich war das einzige Kind.

 

Dusek: Das war der berühmte Bruch nach dem ersten Weltkrieg; ab dem gab es dann viele Einzelkinder.

 

Deutsch: Von den Geschwistern meiner Eltern sind einige jung gestorben. An meine Großeltern kann ich mich noch erinnern. Meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, hat bei uns gewohnt. Sie war sehr musikalisch, hat Klavier gespielt und hat mir den ersten Klavierunterricht gegeben, etwa ein Jahr lang. Sie hat immer gemeinsam mit meinem Vater −  meine Mutter war daran nicht sosehr interessiert − damals noch mit Kopfhörern klassische Musik gehört. Ich erinnere mich noch, ich war fünf bis sechs Jahre alt, als sie einmal „Tristan und Isolde“ gehört haben, und ich habe gesagt, ich möchte auch mithören, aber es hat mir gar nicht gefallen und hat auch nur einige Minuten gedauert. Ein zweites Mal war es „Die Frau ohne Schatten“. Das hat mich irgendwie interessiert. Es wurde daheim natürlich oft über Oper, Theater und Konzert gesprochen; mein Vater hat auch recht gut Klavier gespielt, er hat mit meiner Großmutter vierhändig gespielt, etwa Beethoven-Symphonien, nur klassische Musik und das hat mich wahrscheinlich angeregt. Danach habe ich meine erste Oper ganz und bewußt gehört. Das war „Ein Maskenball“, noch bevor ich zum ersten Male in der Oper gewesen bin, eine Übertragung dieser Oper, und ich habe mit dem Textbuch in der Hand mitgelesen. Ich habe diese Oper von A bis Z mitgehört. Das hat mir sehr gut gefallen. Das war eine Wiener Aufführung mit Zdenka Zika als Amelia.

 

Dusek: Als mich Hubert Deutsch endgültig überzeugt hat, daß er sich in der Operngeschichte besser auskennt als sonst irgendwer, war die Geschichte, als Brigitte Hamann an einer Frage für ihr Buch „Hitlers Wien“ gescheitert ist, die doch nicht so uninteressant ist: Adolf Hitler war in der Ära Gustav Mahler in der Wiener Staatsoper in einer Tristan-Vorstellung. Es war das letzte Jahr von Mahler; in diesem wurde siebenmal Tristan unter Mahler gegeben und dreimal unter einem anderen Dirigenten. Es war nicht eruierbar, wann der damals 17- bis 18-jährige Hitler, es war sein Maturajahrgang − er hatte einem Freund eine Karte geschrieben „war gestern in Tristan“ − man wußte also nicht genau das Datum, wann Hitler im „Tristan“ gewesen ist. Er war schon in der Maturaklasse, hat dann aber nach dem Tod seines Vaters aufhören müssen. In der siebenten oder achten Schulklasse war Hitler in Wien und hat seinem Freund die bewußte Karte geschrieben, wo er belegt, dass er im „Tristan“ gewesen ist. Glauben Sie, man kann in der Wiener Staatsoper im Archiv feststellen, ob sagen wir am 7. Mai der Herr Mahler dirigiert hat? Das ist nicht möglich. Die erste Auflage des Buchs der Hamann sagt, mit hoher Wahrscheinlichkeit hat Mahler damals dirigiert, es läßt sich aber nicht mehr genau eruieren. Daraufhin habe ich beschlossen, das Rätsel mit Hubert Deutsch zu lösen. In der zweiten Auflage des Hamann-Buches ist die Sache geklärt. Über die Abrechnungsbelege ist erkenntlich, dass Mahler an diesem Tag einen Zuschlag als Dirigent erhalten hat. Das hat Hubert Deutsch herausgefunden. Der Hintergrund dazu ist: Auf den damaligen Programmzetteln der Wiener Staatsoper war der Dirigent nicht vermerkt, auch in den Wochenbesetzungen war das nicht vermerkt, es hat damals niemanden interessiert, es war fast selbstverständlich, daß er fast immer am Pult ist. Hubert Deutsch konnte also die Frage lösen, und das zeigt die Diffizilität dieser Dinge.

 

Deutsch: Ich habe eben gewußt, wo ich nachschauen mußte. Ich schließe an Gustav Mahler mit meiner Familiengeschichte von vorhin an. Mein Vater ist mit 18 Jahren aus Brünn nach Wien gekommen und ist dann sehr oft auf Stehplatz in die Oper gegangen und hat Gustav Mahler dirigieren sehen. Er hat erzählt, wie aufregend es gewesen ist, weil man nicht gewußt hat, welcher Dirigent kommt. Man hat eben geschaut, und wenn Mahler herausgekommen ist, war ein besonderer Applaus. Die Leute haben sehr getobt, es gab einen starken Auftrittsapplaus für Mahler. Dann hat er mir viel von der Oper erzählt. Die Gutheil-Schoder z. B. war zwar sehr berühmt, war eine tolle Schauspielerin, aber gesungen habe sie wie eine knarrende Türe. Diese Singschauspieler und -spielerinnen haben unter Mahler erst begonnen. Er hat sehr darauf geachtet, dass auf der Opernbühne auch gespielt wird und dramatisch mehr passiert. Dann hat mir mein Vater gesagt, bevor ich zum ersten Mal in die Oper gegangen bin: Alle Sänger sind groß und dick und stehen nur und singen, sonst machen sie nichts. Das war mir aber egal, wichtig war mir, dass sie schön singen. Dann habe ich bald nach dem ersten Zuhören im Radio versucht, meine Eltern zu überzeugen, daß ich bis 10 am Abend aufbleiben darf, um die übertragenen Opern zu Ende hören zu können. In einer dieser Opernübertragungen hat die Anny Konetzni gesungen, und ich habe mich sofort in diese Stimme verliebt. Ich war ja noch ein Kind, aber ich habe trotzdem gesagt, die gefällt mir ganz besonders. Wir spielen jetzt eine Aufnahme des Tristan vom 2. Jänner 1943, eine Neuinszenierung, aber in den alten Roller-Bühnenbildern − Gustav Mahler hatte bekanntlich Roller in die Staatsoper engagiert. Im Jahr 1903 mit der Mildenburg und Erik Schmedes als Isolde und Tristan war die Premiere, Mahler hatte dirigiert; Roller hatte zum ersten Mal die Bühnenbilder gemacht. 1943 wurde beschlossen, diese Bilder völlig neu zu bauen, und es war eine Premiere unter Wilhelm Furtwängler. Anny Konetzni hat eine Schwester gehabt, die Hilde Konetzni, die sang im jugendlich dramatischen Fach, aber sie war ebenso gut wie ihre Schwester. Von den beiden hatte ich zuhause schon gehört gehabt. Sie waren in den dreißiger Jahren die neuen Stars an der Oper. Anny kam 1933/1934, und die Hilde kam zwei Jahre später 1935/1936. Es wurde mir akustisch bestätigt, daß beide besonders gut sind, und ich war von beiden sehr begeistert.

 

Dusek: Und wir begrüßen hier die Tochter von Hilde Konetzni.

 

Deutsch: Sie ist ihrer Mutter und ihrer Tante sehr ähnlich.

 

Dusek: Prof. Deutsch geht also in die Oper, wird geprägt, wie oft sind Sie damals im Jahr in die Oper auf Stehplatz gegangen?

 

Deutsch: Am 16. September 1938 war ich zum ersten Mal auf Stehplatz in der Oper, ganz allein. Mein Vater hat gesagt, man geht hin und stellt sich an; das habe ich gemacht. Man spielte „Tosca“ mit Else Schulz, Paul Schöffler und dem Mazarov. Die Schulz hat zum ersten Mal die Tosca gesungen, der Mazarov zum ersten Mal den Cavaradossi und der Schöffler zum ersten Mal in Wien den Scarpia. Dann durfte ich einmal im Monat auf den Stehplatz gehen, wegen der Schule nicht öfter. Das hat sich später aber gesteigert. Da ich in der Schule sehr schlecht wurde, habe ich aber Opernverbot bekommen, dann durfte ich aber doch wieder gehen. Schließlich habe ich begonnen, in der Akademie für Musik zu studieren, und dann bin ich von 1942 bis 1944 fast jeden Tag in die Oper gegangen, war aber auch in Konzerten.

 

Dusek: Wann entstand der Wunsch, Dirigent zu werden?

 

Deutsch: Der Wunsch ist eigentlich nur entstanden, weil ich gedacht habe, mir hat die Oper so gut gefallen, irgendwie muß ich zur Oper kommen. Wie kommt man zur Oper? Man studiert Musik und wird Dirigent. Ich habe tatsächlich mein Studium bei Swarowski gemacht und kam ins Engagement nach Linz. Ich habe bald noch während meiner Studienzeit sehr viel bei Agenten begleitet und habe eine ziemliche Routine im Korrepetieren erworben. Aus dieser Zeit, schon vom Stehplatz her, kannte ich viele angehende junge Sänger: Da war z. B. die Liane Synek, die eine ziemlich bekannte Hochdramatische wurde; sie hat in Wien leider nur an die 15 Mal gesungen. Dann war die Melitta Muszely, die hat etwa 30 Mal in Wien gesungen, ist eine Kammersängerin aus Berlin und war der Superstar von Felsenstein in der Berliner Komischen Oper; sie hätte heute hierher kommen sollen, aber sie ist leider familiär verhindert. Dann war die Friedl Riegler, sie war vier bis fünf Jahre an der Oper engagiert mit einer wunderschönen Stimme, hat aber selbst das Singen aufgegeben. Dann war die Lilian Benningsen; sie wurde ein Mezzo-Star in München. Dann war der Eberhard Wächter, ein paar Jahre jünger, den habe ich auch schon vom Stehplatz her gekannt. Dann der Waldemar Kmentt, der Fritz Uhl und . . . der Karl Löbl. Wie man weiß: Jeder, der in Wien mit Musik oder Oper zu tun hat, fängt auf dem Stehplatz an. Die Leonie Rysanek war zwar nicht auf dem Stehplatz; ich habe sie kennengelernt, weil ich sie auf Konzerten eines Vereins für Opernfreunde begleitet habe. Das war ein neues Schwesternpaar: Lotte und Leonie Rysanek.

Das mit den Geschwistern auf der Opernbühne hat im 19. Jahrhundert begonnen mit den Schwestern Giulia und Giuditta Grisi, dann gab es die Malibran mit der Viardot-Garcia, dann gab es die Lilly und Marie Lehmann − nicht zu verwechseln mit der Lotte Lehmann i, dann gab es die Schwestern Konetzni, Dermota und Leo Cordes, dann Willi und Karl Friedrich, dann Spas Wenkoff und Wenko Wenkoff und Emmy Loose mit Friedl Lohr. Es gibt immer wieder Familien, die mehrere Sänger hervorbringen.

 

Dusek: Sie haben in der Oper gelebt, zwischendurch wurde studiert, wann kommt der Sprung in die Oper? Der kommt ja nicht als Dirigent?

 

Deutsch: Das erste Mal habe ich in der Oper als Korrepetitor für das Jerger-Studio 1948 gearbeitet; Alfred Jerger hat ein Studio für die jungen Mitglieder der Wiener Oper eingerichtet. Es gab aber nur drei Aufführungen einer Produktion, und das waren „Die vier Grobiane“ im Redoutensaal; Alfred Jerger hat Regie geführt, Willi Loibner hat dirigiert. Gesungen haben unter anderem Ruthilde Boesch, Sieglinde Wagner, Ljubomir Pantscheff; das waren die damaligen Nachwuchssänger. Einer meiner Studienkollegen hat dort korrepetiert; sie sind mit einem Korrepetitor allein aber nicht zu Rande gekommen, und die in der Oper engagierten waren sehr beschäftigt. Da hat mich mein Studienkollege gefragt: „Kannst und willst Du nicht auch bei uns helfen“, und so kam ich dorthin und habe „Die vier Grobiane“ korrepetiert, auf den Bühnenproben gespielt und alles, was man halt so macht. Das war mein erster aktiver Kontakt mit der Staatsoper. Dann war ich in Linz im Engagement und bin wieder nach Wien zurückgekommen. Ich war damals an der Akademie, jetzt Universität als Lehrbeauftragter, also auch Korrepetitor.

Da wurde ich von Kammersänger Witt, der damals Oberspielleiter der Staatsoper war, angesprochen, ob ich nicht auch in der Oper arbeiten würde, sie suchten in der Oper einen Inspizienten. Ich habe zuerst gesagt, Inspizient ist nichts für mich, ich bin doch ein Musiker. Aber Witt hat mir zugeredet, und so bin ich vom 2. Mai 1955 an jeden Tag am Abend im Theater an der Wien gesessen. Da hat die Staatsoper noch im Theater an der Wien gespielt und parallel waren Proben in der großen Oper. Eines Abends hörte ich, wie davon geredet wurde, daß zwei oder drei Korrepetitoren krank sind; es war also großer Mangel an Korrepetitoren, und am nächsten Tag waren viele Proben. Da habe ich mich beim damaligen Studienleiter Prof. Hudez gemeldet; er hat schon gewußt, daß ich eigentlich ein Korrepetitor bin. Ich habe ihm gesagt, ich würde mich trauen, die „Aida“-Proben zu spielen, denn ich hatte auch schon in Linz die gesamte „Aida“ für die Bühnenproben gespielt gehabt.

So habe ich in der Staatsoper auf der großen Bühne begonnen und habe drei oder vier Tage zur Zufriedenheit des Dirigenten gespielt, es war Raffael Kubelik; als der engagierte Korrepetitor, es war Prof. Pichler, zurückgekommen ist, sind wir bei einer Probe gleichzeitig da gewesen. Pichler ist am Klavier gesessen, und Kubelik hat gefragt, „wieso sind Sie da, wo ist der andere?“ Ich war aber ohnehin da, bin umhergestanden, und Kubelik wollte, daß ich weiterspiele, weil er mich schon gewohnt war. Das war selbstverständlich nichts gegen Prof. Pichler, aber das hat mir das Engagement als Korrepetitor und zweiter Bühnenkapellmeister an der Staatsoper eingebracht. Da war ich vom 1. September 1955 an und habe dann bei vielen Eröffnungsvorstellungen auf der Bühne zu tun gehabt. So war ich drei Jahre lang Korrepetitor und Bühnenkapellmeister.

Ich hatte aber zu wenig geübt gehabt und war pianistisch-technisch nicht sehr sicher. Herbert von Karajan war nicht sehr zufrieden mit mir, wollte mich kündigen, hat aber die Kündigung wieder zurückgenommen, und schließlich war ich so unsicher, daß ich selber von dieser Position weg wollte. Da wurde eine Möglichkeit im Notenarchiv frei, da wurde ich Leiter des Notenarchivs der Staatsoper, habe dort sehr viel altes Notenmaterial vorgefunden, das habe ich gesichtet, es war ein wahnsinniges Durcheinander. Das Material, das wir nicht gebraucht haben und in der Oper praktisch nicht notwendig war, wurde an die Österreichische Nationalbibliothek abgegeben. Eines Tages hat mich Karajan rufen lassen und hat zu mir gesagt. „Ich weiß, daß Sie organisatorisch sehr begabt sind, und ich brauche einen Koordinator, weil es in der Staatsoperndirektion drunter und drüber geht; da muß jemand kommen, der das ordnet. Auf diese Weise kam ich in die Staatsoperndirektion, zunächst als Koordinator. Im nächsten Jahr, als mein Vertrag verlängert werden sollte, habe ich darum gebeten, dass etwas in den Vertrag hineinkommt, was bleibend ich. Ich habe gesagt: Wenn der nächste Direktor kommt, braucht er vielleicht keinen Koordinator. Ich möchte das künstlerische Betriebsbüro in meinem Vertrag haben. So wurde ich Stellvertreter des Leiters des künstlerischen Betriebsbüros der Wiener Staatsoper.

Dessen Leiter war damals Ernst August Schneider, der während des zweiten Weltkriegs eine Zeitlang provisorischer Operndirektor gewesen war, der – ich traue mich, das zu sagen –, damals aber nicht mehr viel gemacht hat. Er hat am liebsten Freikarten verteilt und ähnliches. Ich habe seine eigentliche Arbeit gemacht, und das war sehr gut für mich, weil ich auf diese Weise alles aus dem Effeff kennengelernt habe. Viele Jahre später unter Direktor Seefehlner, wurde ich schließlich Leiter des künstlerischen Betriebsbüros; er glaubte, ich sei längst dessen Leiter, man ist aber dann draufgekommen, daß dem nicht so war. Unter Staatsoperndirektor Lorin Maazel war ich ein Jahr lang Direktor-Stellvertreter, und nach dem Tod von Eberhard Wächter war ich wieder Direktor-Stellvertreter. Ich habe insgesamt unter zwölf Staatsoperndirektoren gearbeitet.

 

Dusek: Gibt es da Phasen wo man mit seinem Schicksal hadert, daß man nicht Dirigent oder Direktor geworden ist?

 

Deutsch: Ich war immer der Überzeugung, daß ich nicht die Fähigkeiten gehabt hätte, ein erster Mann zu sein. Ich habe keine Übersicht über das Materielle gehabt, über die Einteilung des Geldes. Man hätte zumindest einen administrativen Direktor dazu bekommen müssen. Aber ich habe eine solche Funktion nie angestrebt. Daß ich kein Kapellmeister geworden bin, war ganz in meinem Sinn. Ich habe nie geglaubt, daß ich ein großer, berühmter Musiker werde.

 

Dusek: Gab es Phasen, wo Sie gedacht haben, „jetzt muß ich schon wieder hineingehen, heute ist eine schlechte Aufführung? Wie oft gehen Sie heute in die Oper?

 

Deutsch: Nicht sehr oft. Ich gehe zu allen Generalproben und hie und da zu Aufführungen, die interessant sind, wenn ich überhaupt eine Karte bekomme, das ist nicht ganz so einfach!

 

Dusek: Welchen Einfluß hat die Administration? Nehmen wir irgendein Beispiel. Die Boesch erzählt immer wieder, daß sie mit der Gruberova, ihrer Zerbinetta, jahrelang irgendwem dauernd im Ohr gelegen ist. War das nicht ohnehin Ernst August Schneider?

 

Deutsch: Die Gruberova ist ein eigenes Kapitel. Sie hat vorgesungen im Jahr 1969. Da kam ein Anruf vom Portier zu mir, ich war Stellvertreter des Leiters des künstlerischen Betriebsbüros, aber alle Anrufe kamen damals zu mir. Der Portier sagte: „Da ist eine junge Dame, die möchte gern vorsingen; sie möchte mit Ihnen sprechen.“ Sie kam zum Apparat und sagte: „Ich bin nur einen Tag lang in Wien, ich komme aus München von einem Wettbewerb und muß am Abend schon wieder nach Bratislava. Ich möchte gern vorsingen.“ Da damals jeder bei uns vorsingen konnte, das gilt grundsätzlich bis heute noch, habe ich ihr gesagt, sie könne vorsingen. Es konnte sogar auf der Bühne sein, weil diese frei war, und die Gruberova hat phänomenal die Königin der Nacht und Lakme gesungen. Ich habe mir gleich gedacht und Direktor Schneider war damals auch mit dabei: Sie singt mit 21 so gut wie die Toti dal Monte oder eine von den internationalen Koloratur-Größen. Zuvor hatte sie ein Jahr in der Provinz in der Slowakei gesungen. Daraufhin hat sie auch noch Direktor Reif-Gintl vorgesungen. Sie wurde mit 1. Jänner 1970 engagiert. Sie hat dann sehr bald schon die Königin der Nacht gesungen. Vorher war das Lucia Popp, mit der es eine ähnliche Geschichte gegeben hatte. Sie ist auch sehr plötzlich gekommen und nach dem Vorsingen sofort engagiert worden. Die Popp hat die Königin aufgegeben, und die Gruberova hat dann öfter diese Rolle gesungen, aber auch die Olympia und viermal die Zerbinetta in der alten Inszenierung. Sie war nur sehr unglücklich und wollte irgendetwas unternehmen. Ich weiß das aus erster Quelle. Ljubomir Pantscheff hat ihr geraten, sie möge zu Ruthilde Bösch gehen, um sich ihre stimmlichen Möglichkeiten bewusster zu machen. Kurzum, sie hat dann bei der Bösch studiert. Dann kam die Ära Seefehlner; die zweite Premiere war „Ariadne auf Naxos“. Ich habe Karl Böhm geraten, er soll sich die Gruberova anhören, das sei eine Zerbinetta, die aus dem eigenen Haus ist und wirklich hervorragend singt. Böhm hat sich herbeigelassen und sie bei einem Bühnenvorsingen angehört und sofort gesagt: „Die will ich haben.“ Seefehlner, der erst später gekommen ist, hat sogar die Nase gerümpft und gesagt, „nein, ich habe sie gehört, so gut ist sie nicht, ich möchte eine Zerbinetta aus Berlin bringen, Frau Cuccaro.“ Das wurde aber von Böhm strikt abgelehnt, und Gruberova hat die Premiere gesungen. Von da an hat ihre Weltkarriere begonnen.

 

Dusek: In kleinen Rollen hat man schon gehört, daß da noch etwas kommen wird. Ich kann mich auch an die Gruberova, bevor sie noch entdeckt war, schon als wunderbar gut erinnern. Sie hatte in ihrem Fach die viel rundere Mittellage und die Höhe war viel belkantesker und die Höhe war noch irrer. Da bin ich auf sie zu und habe gesagt, „ich hab Ihnen das gar nicht zugetraut, singen Sie kein anderes Fach“; darauf hat sie gesagt, „was soll ich singen? Es gibt da nichts anderes als die Lucia.“ Da habe ich zu ihr gesagt: „z. B. die Norma oder die Puritani und die Linda di Chamonix.“ Darauf sie: „Na wer spielt denn das? Niemand spielt das.“ Sie war überrascht von ihren Erfolgen. Aber ich finde es schön, daß so etwas in der Operndirektion passiert.

 

Deutsch: Was sicher nicht so gut war, und das muß ich leider sagen bei Rollenbesetzungen in den gesamten 40 Jahren, die ich in der Staatsoper war, habe ich erlebt, daß man sich zu wenig um junge Sänger bemüht und sich nicht überlegt hat, wie könnte man die entwickeln und was sollten sie als nächstes singen. Das war die nicht so gute Zeit der Gruberova, die hundert kleine Partien gesungen hat und hie und da auch einmal eine große. Aber man hätte eigentlich schon von Anfang an sagen müssen, jetzt sollte sie das und das und das singen. Das ist aber erst passiert, als sie schon groß geworden war.

Das Beispiel, das ich von der Gruberova erzählt habe, war wahrscheinlich ein besonders originelles und einmaliges. Ich habe unzählige Vorsingen gehört und erlebt darunter auch das Vorsingen des Placido Domingo. Er hat fabelhaft gesungen, aber es war damals Mai oder Juni und wir hatten keine Vakanz; er wäre damals auch fix für ein Jahr nach Wien gekommen. Aber wir haben gesagt, wir können ihm das nicht antun, weil er auch schon eine gewisse Routine gehabt hat, weil die Vorstellungen bereits verteilt und vergeben waren. Wir hätten ihn vielleicht zwei oder dreimal singen lassen können, aber wir hätten ihn ein ganzes Jahr über da gehabt. Ihm zuliebe haben wir damals keinen Vertrag gemacht. Das war zwei Jahre bevor er 1967 in Wien den Carlos gesungen hat. Da war er aber schon ein anerkannter Tenor.

 

Dusek: Wir haben damals auf dem Stehplatz gesagt, „Jesus schon wieder ein Zampieri, eine schöne Stimme, aber keine Höhe, aber ganz nett.“

 

Deutsch: Nun, der Domingo war schon besser als der Zampieri, aber nichts gegen den Zampieri.

 

Dusek: Er hat immer wieder ein bisserl Höhe gehabt, aber er war ein wenig lethargisch. Er hat oft so zwischendurch irgendwie gesungen, aber wenn Giulietta Simionato richtig losgelegt hat oder wenn Birgit Nilsson mit ihm gesungen hat, hat er auf einmal wie um sein Leben zu singen begonnen. Dann war auf einmal auch die Höhe da. Er war ein nie wirklich Geforderter mit einer der schönsten Stimmen.

Wie sieht das Privatleben des Hubert Deutsch aus?

 

Deutsch: Ich habe zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn von einer Mutter. Beide Kinder sind musikalisch, haben also irgendetwas von mir ererbt. Meine Tochter hat sieben Jahre im Fernsehen als Regieassistentin, spezialisiert auf Oper und Konzert, bis sie eines Tages gesagt hat, eigentlich will ich Ärztin werden, und dann hat sie begonnen, Medizin zu studieren, und jetzt sitzt sie da, sie ist angehende Herzchirurgin.

 

Dusek: Ich habe meine Frau beim Anstellen um Stehplätze für die Karajan-Premiere von „Boheme“ zum ersten Mal angeflirtet. Dann ist die Premiere abgesagt worden, dann bin ich in die Universität gegangen, weil ich Vorlesung gehabt habe, dann sind wir noch einmal Kaffe trinken gegangen, und so ist es passiert. War Ihre Frau irgendwie in den Opernbetrieb involviert?

 

Deutsch: Nein, sie war gar nicht involviert.

 

Dusek: Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie eine Ehe funktioniert, wenn einer der Partner ein Opern-Wahnsinniger ist und die Ehefrau nur die Kinder hat und der Mann ist nie da.

 

Deutsch: Vielleicht war es insoferne meine eigene Schuld, weil ich wollte nie jemanden aus dem Bereich Oper heiraten. Ich habe zwar die Oper geliebt, aber das war mein Beruf: ich habe mir gedacht, zuhause will ich nicht mit jemand zusammenleben, der nur von der Oper redet. Ich habe meine Kinder in die Oper mitgenommen, sie sind dort öfter hingegangen, ich habe sie in die Garderoben gebracht, sie haben immer ein Plakat von der jeweiligen Vorstellung bekommen, sie haben unter meiner Anleitung Autogramme gesammelt und sie haben sie daheim hängen, sowohl mein Sohn als auch meine Tochter.

 

Dusek: Was ist Ihr Sohn beruflich?

 

Deutsch: Er ist autodidaktischer Tonmeister. Er hat ein Aufnahmestudie für CDs und lebt in Deutschland.

 

Dusek: Gehen wir wieder zur Oper und einzelne Episoden zurück. In der Staatsoper gab es gewisse Ereignisse; ich kann mich erinnern an einen „Fliegenden Holländer“, da gab es ein Einheitsbühnenbild, weil irgendwo hinten der Aufzug steckengeblieben ist und man die Kulissen nicht ausladen konnte. Dann gab´s diese „Tosca“ mit der brennenden Perücke mit der Wischnevskaya . . .

 

Deutsch: . . . dann gab´s die „Tosca“, wo nicht geschossen worden ist . . .

 

Dusek: Waren Sie da immer im Haus?

 

Deutsch: Bei diesen beiden Vorstellungen war ich zufällig nicht im Haus. Das war mit der Caballé, auf die bin ich ehrlich gesagt nicht allzu gut zu sprechen, weil mit ihr immer irgendetwas passiert ist. Bis dahin, daß sie bekanntlich in einer Vorstellung von „Norma“ plötzlich mitten in die Vorstellung gesagt hat, „reden Sie nicht da oben auf der Beleuchterbrücke!“

 

Dusek: Das war kurz vor der Cabaletta, da wollte sie ablenken.

 

Deutsch: Ja. Und dann war eine Vorstellung von „Andre Chenier“, wo sie gesungen hat und dann ist ihr ein hoher Ton in der Arie abgerissen und daraufhin ist sie abgegangen. Ich mußte vor dem Vorhang ansagen, Frau Caballé fühlt sich nicht gut, wir müssen unterbrechen. Damals habe ich insgesamt dreimal vor den Vorhang müssen, weil immer wieder hat sich etwas ereignet. Ich kam nämlich zurück in ihre Garderobe, da waren schon zwei Ärzte da und haben gesagt, sie habe 200 Blutdruck, und sie hat gesagt, „ich singe nicht weiter, denn ich möchte meine Karriere nicht der Staatsoper opfern“, so wie das seinerzeit auch Karl Böhm gesagt hat. So mußte ich wieder vor den Vorhang; der Dirigent ist nicht heraufgekommen, es war im dritten Akt unterbrochen worden, und ich sagte vor dem Vorhang, „wir spielen jetzt weiter, noch den vierten Akt bis zum Schlußduett, und dann müssen wir eben abbrechen“. Es waren überraschenderweise keine Missfallenskundgebungen, die Leute haben nur gemurmelt. Dann war in dieser Inszenierung eine Umbaupause; da ist der Dirigent, ich glaube, es war Guadagno, auf die Bühne gekommen und hat gesagt, das mache er nicht, das sei unkünstlerisch, er wolle den vierten Akt gar nicht mehr beginnen. Da habe ich ein drittes Mal vor den Vorhang gehen und sagen müssen, „es tut uns leid, aber jetzt ist Schluß“. Das ist alles wegen Frau Caballé passiert.

 

Dusek: Haben Sie bei di-Stefano- oder Beirer-Vorstellungen, wo es einen Akt mit di Stefano und einen mit Beirer gegeben hat, wo er abgetreten ist, miterlebt? Ich war in solchen  Vorstellungen, wo di Stefano abgetreten ist oder Beirer Allergie hatte.

 

Deutsch: Hans Beirer hat sich gewehrt − das war eine große Aufregung − er hat Othello gesungen, und da war eine Fahne auf der Bühne, die mit Wind bewegt wurde, und Beirer hat gesagt, da kann er nicht singen. Dann war einmal eine Vorstellung von „Der Troubadour“ mit Bonisolli; nach dem zweiten Akt hat er gesagt, er singe nicht weiter. Ich bin in die Garderobe gegangen, habe ihm zugeredet wie einem kranken Ross, habe ihm versprochen, ihn  anzusagen, das habe ich auch getan. Dann hat er behauptet, es hätte kalter Wind aus der Volksoper geweht. Warum gerade aus der Volksoper, das weiß ich nicht. Aber das war seine Ausrede. Er hat dann wohl weitergesungen und das tadellos. Es geschieht sehr oft, daß Künstler, die sich unsicher fühlen, dann, wenn sie angesagt werden, besser singen als wenn nichts geschieht.

 

Dusek: Wann entscheidet wer das Ansagen? Man hört vor der Vorstellung oft, ein Sänger wolle absagen.

 

Deutsch: Man versucht, den jeweiligen Künstler dahin zu bringen, daß er ohne Ansage singt, weil eine Ansage negative Stimmung ins Haus bringt. Die Leute sagen dann gleich oje. Wenn das Zureden nicht gelingt, muß man eben ansagen.

 

Dusek: Waren Sie in der jüngsten „Walküre“-Premiere oder in der Generalprobe?

 

Deutsch: Ich war in der Generalprobe. Sie sprechen wohl den Umstand an, daß der Bariton seine Stimme verloren hat?

 

Dusek: Früher hätte das wohl dazu geführt, daß der Dirigent irgendwann in der Mitte des zweiten Aktes unterbrochen und man versucht hätte, den Sänger irgendwie mit „Jauckerln“ aufzumöbeln. Ich habe solche Pausen schon erlebt bei Sängern, die ihre Stimme völlig verloren hatten. Das Seltsame ist, daß dasselbe zwei Wochen vorher bei „Arabella“ mit Peter Weber passiert ist. Da habe ich das Vorgehen nicht verstanden. Er hat im zweiten Akt nicht mehr singen können, und man hat sich gedacht, wird das Stück überhaupt zu Ende dirigiert werden? Dann kam der dritte Akt, und niemand kam vor den Vorhang. Weber hat also weitergesungen, und man hat erfahren, daß Direktor Joan Holender erklärt hat, die Karriere vom Peter Weber sei ohnehin schon aus. Er hat den Journalisten in der Pause mitgeteilt, es wäre ein Fehler gewesen, ihn zu nehmen, er werde entsorgt werden. In den Zeitungen ist gestanden, dieser Kerl habe sich selbst ins Out gesungen. Er wäre aber meines Erachtens der logische Einspringer für den Wotan gewesen. Aber er war völlig kaputt gemacht durch eine Nicht-Ansage, durch eine Nicht-Entschuldigung. Es nimmt die Bereitschaft, den Sängern zu helfen, irgendwie ab. Früher kam an die viermal in der Woche jemand vor den Vorhang, und dann haben alle wunderbar gesungen. Das ist jetzt viel seltener geworden, man läßt die Sänger jetzt auf der Bühne verrecken und verhungern, und dann kommt vor dem dritten Akt „Walküre“ niemand vor den Vorhang, und aus der Zeitung erfährt man dann, das werde Konsequenzen haben. Das ist doch nicht die nette Art! Das verstehe ich nicht.

 

Deutsch: Ich springe zurück zu Ihrer geliebten Leonie Rysanek, die ich schon als Studentin gekannt habe. Sie hat immer gewußt, was sie will, und ich erzähle dazu eine Geschichte: Es war ein Gesangswettbewerb im Wiener Musikverein, und dort ist alles, was in Wien versammelt war, angetreten, um einen Preis zu machen. Auch die Geschwister Rysanek. Die aber haben keinen Preis gemacht. Da ist die Leonie Rysanek zu der Jury gegangen, der Vorsitzende war Hans Duhan, und hat einen furchtbaren Krach gemacht. Sie hat gesagt, „es ist eine Frechheit, ich bin die Beste und habe keinen Preis bekommen, wieso kommt das?“ Die Jury hat wirklich eingesehen, daß sie die Beste ist, und es wurde im Schlusskonzert vom damaligen Präsidenten des Musikvereins Hryntschak angesagt, daß ein Sonderpreis einer besonders begabten jungen Sängerin gegeben werde. Leonie sang damals die große Arie aus „Ein Maskenball“, hatte schon starken Auftrittsapplaus und danach war es ein ungeheurer Triumph. Leonie ist dann nach Innsbruck engagiert worden. Ich traf sie wieder, als wir „Aida“ geprobt haben, als ich als Korrepetitor eingesprungen bin, stand dort Leonie und hat mich gleich freudigst begrüßt, und damit war ich gut eingeführt beim anderen Ensemble. Mit dabei waren Jean Madeira, George London, Gottlob Frick und Hans Hopf, die haben mich alle vorher nicht gekannt.

Wir sind auch im Volksbildungsheim Alsergrund aufgetreten. Da waren so viele Besucher da als heute hier im Saal sind, vielleicht an die 70. Dort war ein Herr Güde, der hat das organisiert und den damaligen Verein der Opernfreunde gegründet. Er hat einen Vortrag über Oper gehalten und dazwischen waren verschiedene Beispiele. Das erste Mal, daß ich dabei mitgewirkt habe, ich wurde von einem Sänger namens Zach geholt. Der erste Abend hieß „Frauenschicksale in der Oper“.

 

Dusek: Da gab´s im letzten Jahr der Staatsoper im Theater an der Wien unter Karl Böhm ein Wettsingen von Martha Mödl, Birgit Nilsson und Leonie Rysanek, die alle auserkoren waren, quasi in die engere Auswahl der „Fidelio“-Premiere zur Eröffnung der Wiener Staatsoper zu kommen. Die Mödl hatte damals einen Traumabend, die Rysanek und die Nilsson einen normal guten Abend; beide haben sich gekränkt, daß es die Mödl geschafft hat. Dann war aber die Mödl bei der Haupt- und Generalprobe ziemlich indisponiert, es war keine Sternstunde von ihr, es war einer der schlechtesten Abende von ihr. Sie stand unter hohem Nervendruck. Sie hatte gerade erst begonnen, die Höhen des Sopranfaches nicht mehr zu schaffen. Die Rysanek war eigentlich nur für die „Frau ohne Schatten“ engagiert, in welcher sie Böhm in München gehört hatte, wo er mit ihr „Elektra“ gemacht hatte, und in Rom die Sieglinde, und sie hätte für die Martinis die Aida übernehmen müssen, und das war ein Riesen Zirkus, denn die Generalproben waren öffentlich mit lauter prominenten Gästen, und sie hatte am 7. und 9. die Premiere, und die Generalproben waren immer mit einem Tag Pause; das heißt, sie hatte innerhalb von fünf Tagen vier Generalproben, Premieren von „Aida „ und „Frau ohne Schatten“. Dann kamen sie bei der Generalprobe von „Fidelio“ zu ihr und haben gesagt, wir wollen, dass Sie „Fidelio“ auch noch singen. Sie aber hat gesagt, „das hätte ich so gern mögen, aber das geht nun wirklich nicht mehr, das wird mir zu viel“. Und so kam´s zu einer Ansammlung von Rysanek-Vorstellungen innerhalb von wenigen Tagen. Aber es war alles nicht wirklich so geplant, und es war die Unberechenbarkeit von Rollenbesetzungen. Die Leute sind heute gut, und zwei Jahre später, wenn die Premiere ist, sind sie nicht mehr in der Entwicklung.

 

Deutsch: Darüber habe ich unlängst ein Telefonat mit Herrn Katona geführt, der in Covent Garden schon seit vielen Jahren der Leiter des Betriebsbüros ist. Er hat sehr darüber geklagt, dass die Vorprogrammierung so lange ist und man gar nicht weiss, ob der Sänger dann in fünf Jahren überhaupt noch die Partie singen kann.

 

Dusek: Das war seinerzeit nicht so. Wenn ich zurückdenke, hat man damals drei bis vier Monate im voraus nicht ganz genau gewusst, wer dann die Besetzung sein wird. Das ist erst so richtig passiert in den achtziger und neunziger Jahren mit den drei Tenören.

 

Deutsch: Die Vorprogrammierung ist immer länger geworden. Als ich begonnen habe, in der Direktion zu arbeiten, haben wir auf zwei bis drei Monate im voraus die Besetzung gemacht. Wir haben gewußt, wer da ist; es gab einen Riesenbogen, und da waren quasi die Gäste bzw. die Stars eingetragen. So hat man dann auch die Programmierung gemacht. Man hat etwa gesagt, diese Sängerin ist in dieser Zeit da, da muss sie drei-, vier- oder sechsmal singen. Da spielen wir diese und jene Oper. Das alles hat sich zwei, drei Monate vorher abgespielt. Von da an ist es immer länger geworden. Zuerst war es ein Jahr im voraus, dann waren es zwei Jahre und jetzt ist es wie ich höre schon fünf Jahre. Das sind die Folgen der Globalisierung.

 

Dusek: Herr Deutsch, es hat immer so etwas wie Blitzkarrieren gegeben, die dann oft abgestürzt sind wie ein Feuerwerk und in sich zusammenfallen. Da gab es viele Beispiele. In meinen 50, in Ihren 73 Opernjahren. Da müssen es eine ganze Menge gewesen sein. Da kamen doch so viele Sänger, die ein Versprechen waren, wo man sagte, „das ist ein neuer toller Tenor, das ist ein neuer Sopran“ und fünf Jahre später war alles vorüber.

 

Deutsch: Sie haben Recht, aber mir fällt dazu im Moment kein Beispiel ein. Ja, Peter Hoffmann z. B.

 

Dusek: In letzter Zeit etwa die Bonfadelli; die Martinis hatte eine sehr kurze Karriere.

 

Deutsch: Die Martinis hatte technische Schwierigkeiten bekommen. Sie hat eine Zeit lang zu viel gesungen, das waren rund zehn Jahre.

 

Dusek: Da gab´s etwa den Ludoviko Spieß, Louis Lima, der ebenfalls nur 10 Jahre, aber phantastisch gesungen hat, und plötzlich war es vorüber. Für mich sind die 10 Jahre einer Karriere eine entscheidende Sache. Thomas Hampson, Edita Gruberova, alle hatten sie im 10. bis 15. Jahr eine Krise, die sie dann überwunden haben. Wenn sie das schaffen, haben Sänger lange Karrieren, dann singen sie 30 oder 40 Jahre lang. Wenn nicht, sind sie nach 10 bis 15 Jahren plötzlich nur noch in der zweiten oder dritten Reihe.

 

Deutsch: Da spielt es natürlich auch eine Rolle, dass die Sänger heutzutage überall singen, dass sie hin und her fliegen und dass die Kapazität der Stimme das nicht aushält. Früher hat es Ensembles gegeben, die Leute haben 40 Jahre lang am selben Haus gesungen. In den großen Häusern wurden Sänger nur engagiert, wenn sie vorher schon in der Provinz gesungen hatten. Das gibt es heute auch nicht mehr. Jetzt sind so viele Anfänger sofort an großen Häusern. Das erinnert mich ganz zurück: Als ich das erste Mal „Don Giovanni“ gehört habe, hat Anton Dermota bereits den Octavio gesungen, hat aber damit gerade erst begonnen. Da hat ganz Wien davon gesprochen, dass ein junger Sänger von der Akademie weg engagiert wurde und dann wirklich eine große Karriere im Haus gemacht hat. Schließlich hat er nur deswegen keine große Weltkarriere gemacht, weil der Krieg dazwischengekommen ist. Nach dem Krieg hat es noch etliche Jahre gedauert, aber er war eigentlich kein internationaler Sänger. Aber er war der beste lyrische Tenor, den ich je gehört habe. Er war mir noch lieber als der Wunderlich.

 

Dusek: Ja, die beiden sind nicht wirklich vergleichbar. Der hatte mehr Lyrik und mehr Dramatik, aber im Ebenmaß der Stimmführung, die Legatolinie des Wunderlich war in ihrer Art einmalig. Außerdem ist Wunderlich eine dieser Karrieren, wo noch viel hätte kommen sollen; er wäre sicherlich bis zum Lohengrin gekommen. Er hätte so viel Kapazität gehabt wie kaum ein Sänger, weil seine Stimme so einen schönen natürlichen Ansatz hatte, und die Volkslieder, die er gebracht hat!

Hubert Deutsch ist mit 70 Jahren von der Staatsoper in Pension gegangen nach einem erfüllten Leben. Wie lebt man als Opernpensionär? Was tut man da alles? Man geht in die Oper, man ist in Jurys, man fährt umher?

 

Deutsch: Ja, das stimmt alles. Ich war in vielen Wettbewerben in der Jury. Ich war z. B. beim Belvedere-Wettbewerb in Wien, beim Klassikmania-Wettbewerb in Wien, das ist ein kleiner Wettbewerb, der vor fünf Jahren begonnen hat. Frau Fally, die jetzt schon ein kleiner Star geworden ist, hat dabei den ersten Preis gemacht. Dann war ich fünfmal in Vercelli, einmal in Gütersloh bei Bertelsmann, einmal im Pamplona in Spanien und zweimal beim Domingo-Wettbewerb. Der erste war in Paris und der zweite war in Wien oder umgekehrt, das weiss ich jetzt nicht mehr. In Paris hat Nina Stemme den zweiten Preis gemacht, die inzwischen ein Superstar geworden ist.

 

Während dieses Gesprächs wurden verschiedene Plattenaufnahmen eingespielt:


„Tristan und Isolde“, Liebestod mit Anny Konetzni, Mitschnitt vom 2. 1. 1943. „Dalibor“, Duett mit Hilde Konetzni und Todor Mazarov, Mitschnitt vom 4. 12. 1942. „Walküre“, Ausschnitte aus dem 1. Akt, mit Hilde Konetzni und Max Lorenz, Mitschnitt vom 1. 12. 1943. „Aida“, 1. Akt, 2. Szene mit Leonie Rysanek, Jean Madeira und Hans Hopf, Mitschnitt vom 10. 5. 1956. „La Forza del Destino“, Schlussszene, mit Nina Stemme, Placido Domingo und Kwangchul Young, Schlusskonzert des ersten Domingo-Gesangswettbewerbes 1993.


Deutsch:
Die frühen Mitschnitte aus der Staatsoper stammen von Ing. Hermann von May, der von Clemens Krauss als erster Tonmeister des Hauses1928 engagiert worden war.

 

Wien, 21. Mai 2008                                                                                      Ernst A. Swietly

20 JAHRE RADIO STEPHANSDOM – heute, am 24.9.2018, besteht Radio Stephansdom 20 Jahre

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20 JAHRE RADIO STEPHANSDOM

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Bildergebnis für radio stephansdom

Eigentlich heißt der Sender ja seit dem 1. Juni 2015 korrekt „RADIO KLASSIK-STEPHANSDOM“, aber im Sprachgebrauch wird immer noch der Ursprungsname verwendet, wobei ihn manche auch gerne als „Radio Heilig“ bezeichnen. Dies rührt daher, dass der Betreiber niemand geringerer als die Erzdiözese Wien der katholischen Kirche ist. Es war ungewöhnlich, als sich im  Jahr 1998, als die Privatradiofrequenzen vergeben wurden, eine solche Institution darum bewarb. Radio Stephansdom kann man terrestrisch in Wien, Wien Umgebung und in Niederösterreich (südlich bis ca. Wr. Neustadt, westlich bis ca. St. Pölten), in Salzburg und Umgebung sowie in Graz empfangen. Ferner besteht die Möglichkeit des Empfangen über das Wiener und Salzburger Kabelnetz sowie über das Internet (https//radioklassik.at).

Als Ende der 90er-Jahre in Österreich Privatradio gesetzlich endlich möglich war, bewarben sich vor allen Dingen Betreiber, die mit ihrem Programm Ö 3 Konkurenz machen wollten, z.B. „Kronehit“ oder „Radio Arabella“. Lediglich bei der Erzdiözese Wien hatte man die Idee, mit einem Programm auf Sendung zu gehen, dass ausschliesslich sogenannte E-Musik anbietet, wobei natürlich auch die Absicht dahinter stand, über diesen Sender kirchliche Inhalte zu verbreiten und die Sonntagsmesse aus dem Wiener Stephansdom zu übertragen. Der Hauptteil des Programms bietet jedoch Musik in seinen verschiedensten Ausformungen, wobei man nicht in den Fehler verfiel, einen Berieselungssender anzubieten, sondern achtete von Beginn an auf eine klare Senderstruktur. Es gibt jeweils zu fixen Zeiten moderierte Sendungen zu den verschiedensten kulturellen und musikalischen Themen, wobei dabei immer auf einen ausgewogenen Mix von Wort und Musik geachtet wird. Zentraler Punkt des Programms sind in jedem Fall die Ausstrahlungen kompletter Opern, jeweils Dienstag, Donnerstag und Samstag immer um 20 Uhr.

Heute sind es genau 20 Jahre, dass der Sender erstmals „on air“ ging und er ist mittlerweile für viele Liebhaber der klassischen Musik so etwas wie eine zweite Heimat geworden, zumal ja Ö 1 immer mehr zum reinen Wortsender (Zitat des Senderchefs: „Musik hört man ohnehin überall“) mutiert, während speziell der Anteil der Musik im allgemeinen und der der Oper im speziellen immer mehr zurückgedrängt wird.

Man muss Radio Stephansdom zur 20-jährrigen Erfolgsgeschichte gratulieren und die Hoffnung aussprechen, dass es so weitergeht, ja man vielleicht einmal sogar in Erwägung zieht, österreichweit zu senden.

Heinrich Schramm-Schiessl 

BUCHTIPP: Die Römer kommen! Packend erzählt von Armin Maiwald

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BUCHTIPP: Die Römer kommen! Packend erzählt von Armin Maiwald

Von Dr. Egon Schlesinger


Copyright: Andrea Matzker

Armin Maiwald, der komplexe Sachverhalte, wie aus der Kult-Sendung mit der Maus bestens bekannt, gut vermitteln kann, hat in einem Roman mit dem Titel „Die Römer kommen!“ dargelegt, wie die Gründung Kölns, der Colonia Claudia Ara Agrippinensium und späteren Hauptstadt der Provinz Niedergermanien gewesen sein könnte, und weist darauf hin, dass die Geschichtsschreibung aus damaliger Zeit  nur von einem römischen Standpunkt aus erfolgte, laut dem Motto „Germanen haben rote Bärte, faulenzen und trinken den ganzen Tag Met“. In seinem neuen Buch erzählt er auf kurzweilige und humorvolle Weise die Geschichte einer abenteuerlichen Stadtgründung in Germanien am Beispiel von Köln. Septimus und Quintus Agrippa haben den kaiserlichen Auftrag erhalten, den geeigneten Platz an einem Fluss für eine neue römische Siedlung ausfindig zu machen. Maiwalds Erzählung besticht dabei ebenso durch die Darstellung der sympathischen Charaktere wie auch die der Spannungen und kulturellen Missverständnisse zwischen Römern und Germanen. Wie der Autor seine Protagonisten in immer neue Schwierigkeiten verwickelt, ist äußerst unterhaltsam. Und ganz nebenbei erfährt der Leser sehr anschaulich und in eindrucksvoller Weise, wie der Alltag der Römer und Germanen ausgesehen haben könnte, noch bevor die römischen Städte nördlich der Alpen zu Machtzentren und Metropolen wurden. Dem Autor gelang ein amüsantes und bildendes Leseabenteuer, leicht, locker, lehrreich, kurz: Für Leser jeden Alters.

Köln, Emons Verlag 2018 Originalausgabe, 304 Seiten gebunden mit Schutzumschlag, 20 € in Deutschland, 20,60 € in Österreich

KÖLN: PHOTOKINA 2018 – nicht nur eindrucksvolle Exponate

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KÖLN: Photokina 2018 – Nicht nur eindrucksvolle Exponate

Von Dr. Egon Schlesinger


L-Mount-Präsentation-durch-Kazuto-Yamaki-Dr.-Andreas-Kaufmann-und-Junichiro-Kitagawa. Foto-Andrea-Matzker

Die seit 1950 von der Kölnmesse GmbH bisher im zweijährlichen Rhythrnus jeweils im Herbst abgehaltene Photokina passt sich an die immer kürzeren Innovationszyklen von Hard- und Software der Branche an. Somit erfährt sie eine wichtige Neuausrichtung im Sinne der Verknüpfung von Event mit Business zur Heranführung neuer insbesondere junger Publikumsschichten, die  Veränderungen und Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich bringen wird. Zukünftig gibt es einen neuen Termin im Mai, dabei im jährlichen Turnus, vier Tage lang und eine neue Hallenbelegung. Doch trotz der spürbaren Veränderungen hat sich die Photokina 2018 mit fast 900 Ausstellern und 180.000 Besuchern aus aller Welt ihren Status als weltweite Leitmesse der Video- und Fotowelt bewahrt.


Cewe-Chef-Dr.-Christian-Friege-präsentiert-seine-Neuheiten. Foto-Andrea-Matzker

Alle großen Player der Foto-, Video- und bildgebenden Branche, inklusive ihrer ansonsten selten zu sehenden Chefs, kamen wieder und präsentierten ihre Produktneuheiten. Spiegellose Kameras mit  größeren und empfindlicheren  Bildsensoren, inzwischen sind 50 Megapixel im Vollformat Standard! Die hierfür entwickelten Objektive finden dank sprachgesteuerter künstlicher Intelligenz die optimale Belichtung für die jeweilige Situation. Eine wesentliche Neuigkeit der Photokina 2018 war die Bekanntgabe einer neuen strategischen Allianz zwischen den Branchengrößen Leica, Panasonic und Sigma, die mittels eines sogenannten L-Mount Systems die Kopplung zwischen Kameragehäuse und Objektiv vereinheitlichten, was Verbrauchern und Fotografen die Möglichkeit geben soll, die Produkte dieser Hersteller vielfältiger nutzen zu können. Unerschöpflich scheint die Kombination aus Miniaturisierung und künstlicher Intelligenz zu sein, was man an den neuen Generationen von Smartphones immer deutlicher wahrnehmen kann, so dass auf dieser Messe erstmals ein namhafter Handyhersteller, die chinesische Firma  Huawei ihr neuestes, mit künstlicher Intelligenz ausgestattetes Smartphone vorstellte. Erfreulich überraschend war, dass neben der schönen neuen Welt des „Unlimited Imaging“ die fast schon vergessene Sofortbildkamera von einigen Herstellern wie Leica oder Nikon in ausgezeichneter Qualität preiswert angeboten werden. Als neuesten technischen Schnickschnack sollte man das Angebot mehrerer Hersteller von Sofortdruckern im Hosentaschenformat erwähnen, mit denen man die  eigenen Handyfotos dem Gegenüber sofort aushändigen kann.


Canon-Präsident-Yuichi-Ishizuka-an-seinem-Stand. Foto-Andrea-Matzker

Weiterhin konnte man auf der digitalen Spartenmesse Digility eine Vorstellung über die Zukunft von Bildern und Bildbearbeitung bekommen, so dass wir uns nicht nur an Begriffe wie Virtual, Mixed und Augmented Reality, Robotik oder 3-D-Druck gewöhnen, sondern auch mit ihren Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Leben auseinandersetzen müssen.


„Dona nobis pacem“. Copyright: Andrea Matzker

Parallel zur diesjährigen Photokina veranstaltete das Erzbistum Köln gemeinsam mit dem Kölner Stadt-Anzeiger eine bewegte Lichtillumination am Hohen Dom zu Köln unter dem Motto „Dona nobis pacem“ in Erinnerung an das Ende des ersten Weltkrieges vor exakt 100 Jahren. An fünf Abenden wurde die hohe Domkirche von 19 Projektoren mit Buchstaben in verschiedenen Farben angestrahlt. Das einzigartige Ereignis mobilisierte damit mehr als 150.000 Kölner und internationale Besucher, dieses musikuntermalte Spektakel auf sich wirken zu lassen und so die wichtige Friedensbotschaft zu verinnerlichen.


„Dona nobis pacem“. Copyright: Andrea Matzker

Dr. Egon Schlesinger


KULTUR AUF DER MESSE BRÜNN: Von Tschechiens Jugendstil-Ikone Alfons Mucha bis zum Roboter YuMi

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Copyright: Brünner Messe

Kultur auf der Messe Brünn: Von Tschechiens Jugendstil-Ikone Alfons Mucha bis zum Roboter YuMi 

Anno dazumal – soll heißen vor hundert und mehr Jahren, zu des Kaisers Zeiten – ist es eine Kulturachse gewesen. Von Wien Richtung Brünn und umgekehrt. Heute gibt es eine gut funktionierende Wirtschaftsachse zu dem östlichen Nachbarn. Wäre schön, wenn Wien auch heute noch etwas kulturell Wertvolles an dieses nahe Ziel exportieren könnte. Ist nicht so: Die Stadt Wien, auf die große Tradition vergangener Tage zurück blickend, hat sich zu einem wohlhabenden Importeur von Kunst und Künstlern rückentwickelt (aktuell: die desolaten Wiener Festwochen, die einkaufsverrückten Musicalbühnen der Stadt, anderes mehr). Immerhin werden von Österreich dem wirtschaftlich aufgeblühten Tschechien nach wie vor Top-Produkte wie moderne Maschinenbau-Techniken oder Auto-Zulieferungen serviert. Die Wirtschaftsachse ist nach wie vor im sehr gutem Zustand. Aufgepasst aber, Tschechien (mit dem wenigsten Arbeitslosen in der gesamten EU) ist zum Hightech-Land geworden: Die eigenen Firmen des Landes expandieren, erweisen sich höchst kreativ bei der Findung moderner Technologien wie etwa Nano-Fasern oder einer neuen Roboter-Generation. YuMi oder ARCOR lassen surrend grüßen. Andererseits aber: Auch China streckt seine Hände hierher aus.

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Alfons Mucha. Foto: Mucha Foundation

Brünn setzt mit einigem Aufwand in der Tourismuswerbung mit Lockrufen für seine modernen Bauten des frühen 20. Jahrhunderts, etwa die Villa Tugendhat. Oder auch die eleganten Jugendstil-Hallen auf dem Brünner Messegelände zählen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Und Veletrhy Brno, die weltweit werbende Messe Brünn, zeigt auf ihrer immens ausgedehnten Anlage bis Ende dieses Jahres eine imposante Ausstellung mit Werken von Tschechiens Art Nouveau-Ikone Alfons Mucha (1860 bis 1939). Die dekorativen riesigen Tafelbilder seines „Das Slawische Epos“ reichen bis auf die Decke einer großen Ausstellungshalle hinauf. Muchas historische Phantasiebilder in ihrer imponierenden Größe erzählen in eher düsteren Farben und mit überbordenden wie psychisch prägnanten Menschenschilderungen von den ‚Slawen in ihrer Urheimat‘, der ‚Verteidigung von Sziget‘ oder der ‚Schule der mährischen Brüder in Ivancice‘ (ist Muchas Geburtsstadt nahe Brünn). Verkaufsschlage sind im Gegensatz zu diesen gigantischen Unikaten die Reproduktionen von Muchas unzähligen berühmten Grafiken und Werbeplakaten (Moet & Chandon, Nestlé) aus seinen Wirkungsstätten München, Paris, New York, Prag. Und umrankt von ornamentalen Blüten: schöne Frauen, Frauen, Frauen – Comédie-Francaise-Weltsstar Sarah Bernhardt (hier: Bernhardtová) wie dezent erotisch lockende weibliche Schönheiten in allen Figurationen, in allen Jahreszeiten.

Aber auch Liebhaber alter Autos oder frühester Straßenbahngarnituren dürfen hier auf dem Brünner Messegelände neben den neuesten Roboter-Erfindungen bestaunt werden. Vehikel aus den historischen Automobil-Jahren: ‚Omega‘ wurde das 1923 in Brünn erste gebaute Auto benannt. Oder das ärodynamische Cabriolet ‚AEO 50 Dynamik‘ lässt sich ebenfalls bewundern. Doch zurück zur Achse Wien – Brünn:  Advantage Austrianennt sich in Tschechien die Initiative der Aussenwirtschaft Österreich, der um bilaterale Beziehungen und um geschäftliche Verflechtungen erfolgreich bemühten heimischen Wirtschaftstreibenden. Die aktuelle Kulturpolitik der Stadt Wien kann hier allerdings keine markantes nachbarliches Kreativprofil vorweisen. Da …. da eben viele Wien modern-Werbesprüche geklopft werden, es dabei aber nicht an wendigen Einkaufsmanagern, doch in den politischen Strategien an geistreichen schöpferischen Köpfen fehlt. 

Info: www.bvv.cz

Meinhard Rüdenauer

RECIFE/Nordost-Brasilien – Teatro de Santa Isabel im Oktober 2018

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RECIFE/Nordost-Brasilien – Teatro de Santa Isabel  im Oktober 2018


Recife / Innenstadt. Foto: Dr. Klaus Billand


Teatro de Santa Isabel. Außenfront. Copyright: Dr. Klaus Billand

Vor ein paar Tagen fand im ehrwürdigen Teatro de Santa Isabel in Recife, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Pernambuco, die Feier zum 75. Jubiläum der Katholischen Universität von Pernambuco statt. Dabei bot sich die Gelegenheit, dieses schöne Theater, das leider nur selten Opernaufführungen erlebt, etwas besser kennen zu lernen. Es wurde vom französischen Architekten Louis Léger Vauthier im neoklassischen Stil der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Brasiliens erbaut und 1850 eingeweiht. Wie beim Teatro Amazonas in Manaus (über das jährlich stattfindende Amazonas-Opernfestival wurde hier oft berichtet) wurden damals die Architekten und viele Fachkräfte für den Theaterbau aus Europa angeworben. Auch Baumaterialien wurden aus der „Alten Welt“ beschafft.


Santa Isabel, Statue. Copyright: Dr. Klaus Billand

1869 brannte das Theater fast völlig nieder, wurde aber im originalen Stil wieder aufgebaut. Es trägt den Namen der Tochter des beliebten brasilianischen Kaisers Dom Petro II, Prinzessin Isabel. Der Kaiser besuchte im Jahre 1859 bei einer Reise durch die Nordostprovinzen Brasiliens das Haus auch persönlich. Das Teatro de Santa Isabel war die Plattform für die Kampagne von Joaquim Nabuco zur Abschaffung der Sklaverei in Brasilien. Hier einige Bilder.


Santa Isabel – Saal. Copyright: Dr. Klaus Billand


Santa Isabel – Ränge. Copyright: Dr. Klaus Billand

Klaus Billand aus Recife

EINE PERSÖNLICHE HOMMAGE AN CHARLES AZNAVOUR

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Line Renaud und Charles Aznavour. Copyright: Anderea Matzker

Eine persönliche Hommage an Charles Aznavour

 

„Les poètes ne meurent jamais – Die Dichter sterben nie“

 Emmanuel Macron

 

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger

Eine ganze Woche der Trauer überschattete die Musikwelt und liegt nun hinter uns. Als am Montag, dem 1. Oktober 2018, bekannt wurde, dass Charles Aznavour gestorben sei, hörte man auf allen Sendern in Frankreich 24 Stunden lang seine Stimme. Ebenso in Italien. Die Italiener sahen ihn fast als einen der ihren an, seit Iva Zanicchi vor langer Zeit als erste Künstlerin überhaupt eine ganze Langspielplatte allein mit seinen Liedern auf italienischer Sprache eingesungen hatte. Dies war der Anlass dazu, ihn selbst auf die Idee zu bringen, auf Italienisch zu singen. Seither begleiteten seine Songs die Italiener aller Generationen und bildeten den musikalischen Hintergrund für ihre diversen Lebensphasen. Er liebte die Italiener sehr, denn sie seien optimistischer als die Franzosen. In Deutschland wurde sein Tod nur marginal mit ein oder zwei Sätzen erwähnt; der Film „Die Blechtrommel“ lief am Tag seiner Beerdigung auf Arte.

Die Autoren dieser kleinen Würdigung hatten sich zu Beginn des Jahres ganz besonders darauf gefreut, dass Charles Aznavour im Rahmen seiner Europatournee am 4. August auch in Köln gastieren sollte und hatten sich sofort Karten gekauft. Als das Konzert leider abgesagt werden musste aufgrund seines Armbruchs, den er sich Mitte Mai zugezogen hatte, bestand die Hoffnung, dass das Konzert sogar nachgeholt werden würde, und in jedem Fall aber die restlichen Konzerte der Tournee ab September wie geplant stattfinden sollten. Das Schicksal erlaubte diese weiteren Termine nicht mehr, obwohl er noch in der vorletzten Woche verschiedenste Auftritte hatte, zweimal mit Jean-Paul Belmondo im Pariser Restaurant „Le Centenaire“ gespeist hatte, guter Dinge war und bereits viele Pläne für die kommende Woche und die Zukunft hatte. Seine Freunde sagten allerdings, dass ihn ein tiefer Kummer erfasst hatte, seit am 5. Dezember 2017 sein langjähriger Freund Johnny Hallyday und nun am 18. September auch der Schauspieler und Schriftsteller Jean Piat, dem er fast ein ganzes Leben lang verbunden war, starben. Vielleicht haben ihm diese Schicksalsschläge das Herz gebrochen.


Patricia Kaas und Charles Aznavour. Copyright: Andrea Matzker

Bis zu diesem Jahr gab es drei persönliche Begegnungen mit Charles Aznavour für die Kölner Autoren. Nach seinem Konzert in der Rheingoldhalle von Mainz lud der Künstler sie persönlich zu seinem 80. Geburtstag in das Palais des Congrès von Paris ein. Das Konzert „Bon Anniversaire Charles“ am 22. Mai 2004 wurde so zu einem unvergesslichen Erlebnis. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac war mit seiner Frau zugegen, Weltstars wie Liza Minelli, Nana Mouskouri, Patricia Kaas, Line Renaud, Roberto Alangna und Johnny Hallyday traten zusammen mit dem Jubilar auf. Zur lit. Cologne kam er im Jahre 2011, um gemeinsam mit Volker Schlöndorff im Schauspielhaus seine Autobiographie “Mit leiser Stimme“ vorzustellen. Bei dieser Gelegenheit traf man sich persönlich im Hotel Wasserturm der Stadt zu einem Gespräch.

Sein Lebenslauf, seine diversen Engagements auf sozialer Ebene und für Armenien, seine Filme und seine unendlichen musikalischen Erfolge sind hinlänglich bekannt. Daher nur ein paar Worte zu seiner Person. Freundschaft war für ihn eine ernstzunehmende Sache, denn einen wirklichen Freund hat man erst nach 30 Jahren. Nach dem Grund für seine eindrucksvolle Intensität bei jedem einzelnen Auftritt befragt, sagte er ganz einfach: „Ich nehme keine Drogen, gehe früh ins Bett, arbeite jeden Tag und habe seit 50 Jahren die gleiche Frau. Das ist die solide Basis für meine Ausstrahlung und der Grund für meinen Erfolg.“ Er schrieb jeden Tag an neuen Kompositionen, verwarf auch Vieles, aber Arbeit war für ihn das Leben. Über 1400 Chansons hat er geschrieben. Er selbst hat sie in sieben Sprachen eingesungen, darunter auch auf Neapolitanisch, worauf er besonders stolz war. Um die 300 Millionen Schallplatten hat er verkauft, und Konzerte hat er bis zu seinem – trotz des hohen Alters – überraschenden Tod gegeben. Er glaubte an einen allen Religionen übergeordneten Gott und gab seine Angst vor dem Tod unumwunden zu: “Leben kannst du zweimal, sterben nur einmal.“ Als er 50 Jahre alt wurde, wollte er die nächste Geburtstagsfeier erst wieder zum 100. machen. Fast hätte er es geschafft. Aber seine Lieder bleiben ewig. Genau wie sein eigenes Lieblingslied „Hier encore“ oder auf Italienisch „Ieri si“. Der größte Traum seines Lebens war, einmal in der Mailänder Scala zu singen.

Auf Wunsch der Familie, die nicht ein riesiges Volksereignis wie bei der Beerdigung von Johnny Hallyday gewünscht hatte, fand die Trauerfeier am vergangenen Freitag, dem 5. Oktober 2018, im Hof des Hôtel des Invalides als extrem würdiger, ergreifender und bewegender Staatsakt mit militärischen Ehren statt. Die ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und Francois Hollande waren zugegen. Emmanuel Macron, mit dem Charles Aznavour in der nun kommenden Woche ursprünglich zum Frankophonie-Gipfel nach Armenien reisen sollte, sprach die Trauerrede, die schöner, passender, geschmackvoller und emotionaler nicht hätte sein können, ebenso wie die gesamte Feier an sich. Hätte Charles Aznavour sie hören können, so wäre er mit dem letzten kleinen Kümmernis, dass er zeitlebens hatte, nämlich dem Eindruck, dass er in Frankreich nie so sehr geschätzt worden sei wie im ganzen Ausland, absolut versöhnt gewesen. Kein Zweifel hätte mehr daran bestanden, dass er in Frankreich die allerhöchste Wertschätzung genoss und genießt.

Der Samstag war aus diesem Anlass ein nationaler Trauertag in Frankreich. Nach der Messe in der Kirche Saint-Jean-Baptiste in Paris wurde Charles Aznavour im Familiengrab auf dem Friedhof von Montfort-l’Amaury in der Nähe von Paris unter Ausschluss der Öffentlichkeit bestattet. Am gleichen Tag wie er starb der bekannte Komponist Stelvio Cipriani, der die Musik für über 200 Kinofilme schrieb und mit der Titelmelodie zum Film „Anonimo Veneziano“ weltberühmt wurde, und am Tage seiner Beerdigung verstarb Montserrat Caballé. Arte widmet dem großen Künstler am Sonntag (7.10. mehrere Sendungen, geplant sind um 17:00 Uhr ein Konzert und am Abend der Truffaut-Spielfilm „Schießen Sie auf den Pianisten“.

 

 

25 JAHRE USEDOMER MUSIKFESTIVAL IN GLANZBESETZUNG

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25 Jahre Usedomer Musikfestival in Glanzbesetzung

Von Ursula Wiegand

 
Usedom, stürmische Ostsee vor Bansin, Foto Ursula Wiegand

 

Musik liegt in der Ostseeluft über der Insel Usedom. Immer. Dafür sorgen ganzjährig Wind und Wellen, vor allem im Herbst. Am 7. Oktober war Fortissimo angesagt. Presto, presto jagte der Sturm die Wogen an den Strand von Bansin. Wer sich dennoch unter dräuenden Wolken auf die Seebrücke wagte, musste sich gegen die Böen anstemmen. Überdies mischte sich dissonantes Möwengeschrei im Diskant mit den rauschenden Bass-Partien der Wälder. Insgesamt ein Naturkonzert sondergleichen.


Usedom, Baltic Sea Philharmonic am Ostseestrand, Foto Peter Adamik

 

Tags darauf war der rasante Wettergalopp vorüber, und alles spielte wieder Andante. Im Piano plätscherten nun die Wellen, im Pianissimo flüsterten die Sandkörner. Möwen und Kormorane saßen nun faul und friedlich hintereinander auf den Holzresten der 1957 abgebrannten Seebrücke von Heringsdorf. 1995 wurde sie rund 50 Meter entfernt neu erbaut und ist mit ihren 508 Metern der längste Seesteg Kontinentaleuropas.


Möwen und Seebrückenkopf Heringsdorf, Foto Ursula Wiegand

 

Plötzlich also sanfte Spätromantik in Bild und Ton. Viele Kinder zogen Schuhe und Strümpfe aus, um durch das noch recht warme Wasser zu waten. Eisbecher – „aber bitte mit Sahne“ (Udo Jürgens) – auf den Café-Terrassen waren wieder „in“ oder Matjesfilets im Brötchen zur Stärkung bei kilometerlangen Strandspaziergängen. 


Stargast Anne Sofie von Otter bei den Usedomer Musikfestspielen 2018, Foto Ursula Wiegand

 

Diese landschaftliche Schönheit, die anerkannt gesunde Ostseeluft und Usedoms berühmte Bäderarchitektur bilden einen verlockenden Dreiklang. Der ist mit ein Grund, warum Künstlerinnen und Künstler gerne auf die Insel kommen, um beim Usedomer Musikfestival aufzutreten. Vom 22.09. bis zum 13.10.2018 feiert dieses besondere Festival seinen 25. Geburtstag. Erstmals zeigten und zeigen Gäste aus allen neun Ostseeanrainer-Staaten und Norwegens ihr Können und bewiesen – alle politischen Hürden überwindend – die durch das gemeinsame Musizieren entstandene Harmonie.  


Kristjan Järvi, Foto Peter Adamik

 

Initiatoren des Grenzen überwindenden Musizierens waren und sind der Intendant Thomas Hummel und der inzwischen preisgekrönte estnische Dirigent Kristjan Järvi, der junge Menschen aus den Ostseestaaten und Norwegens im Orchester Baltic Sea Philharmonic auf Zeit höchst erfolgreich vereint. 700 hatten bislang die Chance dabei mitzuwirken.

2018 feiert nun dieses erfrischend jugendliche Orchester sein zehnjähriges Bestehen und hat in dieser Zeit in wechselnder Besetzung fast 100 Konzerte gegeben.


Waterworks mit Kristjan Järvi, (c) BMEF – Peter Adamik

 

Neuerdings setzen Kristjan Järvi und seine hoch motivierten, mitunter auswendig spielenden Musikanten/innen mit „Waterworks“ und „Nordic Pulse“ auf einen innovativen Mix aus Stücken, kombiniert mit Sound- und Lichtdesign. Mit „Waterworks“ begeisterte das Orchester bis Anfang 2018 rund 100.000 Konzertbesucher in 14 Ländern und 47 Städten. Im November wird „Waterworks“ im Wüstenstaat Dubai rauschen.


Stadt Usedom, Turm der spätgotischen St. Marienkirche, Foto Ursula Wiegand

 

Besonders glanzvoll ist die Geburtstags-Gästeschar. Selbst ein Weltstar wie Anne Sofie von Otter kam. Mit ihrem fabelhaften Mezzo brachte sie am 07. Oktober die Stimme Schwedens – begleitet von Leif Karner-Lidström (Klavier) und ihrem Sohn Fabian Fredriksson (E-Gitarre) – in der spätgotischen St. Marienkirche in Usedom Stadt großartig zu Gehör. Ein Ereignis in diesem geschichtsträchtigen, im 13. Jahrhundert gegründeten Städtchen.

Klassisch orientierte Lieder ihrer in Deutschland oft unbekannten Landsleute machten den

Anfang, gefolgt von einigen Brahms-Liedern. Beim „Es träumte mir“, fielen ihre reinen Höhen auf. Tatsächlich erreicht Frau von Otter mit Leichtigkeit das hohe C und sogar das hohe Cis. „Ich bin schon gefragt worden, ob ich ein fauler Sopran sei“, hat sie schon mal lachend erzählt.


Anne Sofie von Otter, Leif Kaner-Lindström (Klavier), Fabian Fredriksson, E-Gitarre, Foto Ursula Wiegand

 

Für alles, was sie von ABBA bis zu Opernarien singt, ist jedoch ihr Mezzo genau das Richtige, passt auch bestens zu Leonhard Bernsteins „A simple Song from Mass“ und zu den schlichten Liedern von Häftlingen aus dem Konzentrationslager Theresienstadt. Mit der im KZ umgedichteten „Countess Maritza“ (Gräfin Mariza) trumpft sie regelrecht auf. Diese Lieder, so sagt sie, sollten nicht vergessen werden. Das hat auch einen familiär-politischen Hintergrund. Ihr Vater, einst ein hoher Diplomat, hatte vergeblich versucht, andere Staaten über die Gräuel der Nazis zu informieren und wurde schließlich auf einen minderen Posten versetzt.

Zuletzt ist Johann Sebastian Bach an der Reihe. Sehr leise und ausdrucksvoll bringt sie sein „Komm süsser Tod“. Dass sie es überhaupt schafft, dieses Lied zu singen, ist mehr als bewundernswert, hat doch ihr Mann, der Theaterintendant Benny Fredriksson, nach unbewiesenen „Me-too“-Anschuldigungen, im März d. J. auf einer gemeinsamen Australien-Konzertreise Selbstmord verübt.

Vielleicht ist dieser Bach-Wunsch das persönliche Requiem einer tapferen Frau für ihren geliebten, in den Tod getriebenen Gatten und daher intensiv berührend. Zuletzt schreitet sie singend durch den Mittelgang der Kirche. Danach braust der Beifall auf, und sicherlich hoffen alle, dass sie erneut bei einem Usedomer Musikfestival erscheint. 


Usedom, Schloss Stolpe, Renaissancebau, 16. Jh., Foto Ursula Wiegand

So wie der in Litauen geborene „Wiederkommer“ David Geringas, ein Rostropovich-Schüler und selbst schon lange ein weltbekannter Cellist. Seit 2005 reist er zu diesem Musikfestival an, gibt auch Meisterkurse auf Usedom im Schloss Stolpe, einem nun fein restaurierten Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert. Diesmal hat er vom 26.09. bis zum 01.10. hier viermal konzertiert, u.a. zusammen mit seiner Frau und seinen Schülern, und ein breit gefächertes Programm geboten.  


 Sväng, die finnischen Mundharmonikerexperten, Foto Ursula Wiegand

Darüber hinaus ist das Usedomer Musikfestival immer für Überraschungen gut, für Besonderes, das woanders kaum geboten wird. Gemeint ist „Pfiffig finnisch“ von der Gruppe Sväng, die vier Mundharmoniker-Künstler vereint. Mit den simplen Instrumenten aus Kindertagen sind diese hoch spezialisierten „Ton-Werkzeuge“ keineswegs zu vergleichen und aller Nuancen fähig. Wenn die Vier loslegen, scheint fast eine Big Band tätig zu sein.

Filip Jers, links außen, ein Einspringer aus Schweden und selbst auf allen Kontinenten unterwegs, spielt Diaton- und Chromat-Mundharmonikas, ebenso der Rechtsaußen Eero Turkka. Eher mittig musiziert auf seiner Harmonetta Jouko Kyhälä,  der diplomierte Chef der Gruppe, der auch einige Stücke komponiert oder arrangiert hat.


 Sväng mit Filip Jers und Jouko Kyhälä, Foto Ursula Wiegand

Kraft und Atem braucht vor allem Pasi Leino, der an bisschen an Hitchcock erinnert, wenn er beim Blasen über seine schwere Bass-Mundharmonika hinweg ins Publikum schaut. Alle tragen große, auffällige Ringe an ihren emsigen Fingern. Und dann fetzt die topfitte „Viererbande“ los, bringt traditionelle Weisen, zarte und flotte, spielt Polkas, Jazz, Swing und auch Sibelius – alles begleitet von lustigen Erklärungen. Zuletzt ein „Svängtime rag“, gefolgt von einer Jam Session. Die geht in die Beine, doch gar niemand wagt durch den Saal vom Hotel Nautic in Koserow zu tanzen.


Blick auf die St.Petri-Kirche von Benz, Foto Ursula Wiegand

Nächster Tatort: die Evangelische St. Petri-Kirche von Benz, deren Granitquader-Sockel aus der Zeit vor dem 13. Jahrhundert stammt Lyonel Feininger hat diese schöne Kirche mehrfach gemalt. Berühmt ist auch ihr blauer Sternenhimmel im Innern.   

Noch berühmter sind die Berliner Philharmoniker. Fünf Streicher von ihnen sowie ein Pianist sind angereist und bringen „Russische Idyllen“. Neben Michail Glinka kommen dankenswerterweise auch weniger bekannte Komponisten zu Wort, so Alexander Aljabjew und Sergej Ljapunow.


Luiz Felipe Coelho und Marlene Ito, Foto Ursula Wiegand

Alle Interpreten, eine internationale Schar, werfen sich mit Verve in diese teils hochromantischen, teils äußerst geschwind dahin galoppierenden Werke, die oft an ein anstürrmendes Kosakenheer denken lassen. Voller Schwung und Hingabe musizieren die beiden Violinisten Luiz Felipe Coelho und Marlene Ito, ebenso Joaquin Riquelme Garcia mit seiner Viola. Knut Weber entlockt seinem Cello alle Facetten.


Knut Weber, Cellist, Foto Ursula Wiegand

An seiner Seite am Contrabass Gunars Upatnieks, der auf diese Weise seinen Geburtstag feiert. Im Hintergrund sorgt Mikhail Mordvinov, der Mann  am Klavier, für den nötigen Drive. Die Wogen der Publikumsbegeisterung schwellen zuletzt dermaßen an, dass das Scherzo aus Ljapunows Klaviersextett im b-Moll wiederholt wird. In der Berliner Philharmonie ist solches kaum zu erleben.


Mikhail Mordvinov (Klavier), Luiz Felipe Coelho und Marlene Ito (Geige), Foto Ursula Wiegand

Am 11. Oktober steht noch eine Serenade im nun polnischen Swinemünde und dort im Miejski Dom Kultury auf dem Programm. Die Zusammenarbeit mit Polen beim Usedomer Musikfestival besteht schon länger und wurde nun am 29.09. mit der festlichen Aufführung von Bachs h-Moll Messe in  der St. Nikolaikirche auf der polnischen Nachbarinsel Wollin gekrönt. – Am 12. 10. lässt sich im Kaiserbädersaal des Seebades Heringsdorf noch „Strauss am Meer“ erleben.


Ex-Kraftwerk Peenemünde, Spielort der Peenemünder Konzerte, Foto Ursula Wiegand

Am 13. Oktober endet nach all’ den täglichen Musikangeboten das Usedomer Musikfestival traditionsgemäß im Kraftwerk Peenemünde und dort mit dem Abschlusskonzert der Saison im Musikland Mecklenburg-Vorpommern. Die Radiophilharmonie des NDR Hannover spielt dann unter der Leitung von Robert Trevino.

Dort hat Kristjan Järvi am 22.09. schon das Eröffnungskonzert im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel dirigiert. Aus dem Riesenbau, der einst den Strom für die NS-Heeresversuchsanstalt – u.a. zur Entwicklung der Tod bringenden V2-Rakete lieferte – ist mehr und mehr ein Kraftzentrum des Lebens geworden.

Also Ende gut, alles gut und vorbei? Zum Glück ist das nicht der Fall. Auf Usedom wird kulturell immer etwas geboten. Vom 21. September bis 12. Oktober 2019 läuft dann das nächste Usedomer Musikfestival. Zuvor schon können Musikfans das Baltic Sea Philharmonic, geleitet von Kristjan Järvi, mit den neuen Stück „Midnight Sun“ am 26.06.2019 in der Berliner Philharmonie und am 02.07. 2019 in Hamburgs Elbphilharmonie erleben.   

Ursula Wiegand

 

STAATSTHEATER KARLSRUHE: IST DIE „FRAUENPOWER“ RECHTSKONFORM?

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STAATSTHEATER KARLSRUHE: IST DIE „FRAUENPOWER“ RECHTSKONFORM?

Die Zukunft ist weiblich“, schreibt die neue Schauspielchefin Anna Bergmann im Spielplanheft. Frauen seien heute schon emanzipiert, selbstbewusst, in vieler Hinsicht besser gebildet und erfolgreicher als Männer und würden in naher Zukunft die Erde beherrschen. Mehr „Female Power“ aber ist gut für Gesellschaft, CO2-Bilanz und Kunst, und deshalb wird Bergmann die Jubiläumsspielzeit nur mit weiblichen Regisseuren bestreiten… (Quelle: „Frankfurter Allgemeine“)

Frauenoffensive am Staatstheater Karlsruhe: Ausschließlich Regisseurinnen
Alles muss man selbst machen am Karlsruher Theater
Frankfurter Allgemeine

Hallo, Leser des Online-Merker,

 und schon sind diese seltsamen Feministinnen kriminell. Damit verletzen Sie das Grundgesetz zur Gleichberechtigung und Menschenwürde (Grundgesetz Art. 1 u. 3). Tatsächlich handelt es sich aber auch um Amtspflichtverletzungen, die Damen sind im öffentlichen Dienst und sollten daher rausgeworfen werden. Straftat ergibt sich ja durch diese dümmliche Veröffentlichung. Amtsmissbrauch und Verletzung der Grundrechte.

Fragt sich nur aus welchem Abfalleimer diese Heroinen ihre soziale Kompetenz gelöffelt haben. So eine Denke gehört in kein Theater. Die Zukunft ist nicht weiblich – sie ist demokratisch und auf der Basis der Grundrechte und damit  Gleichberechtigungen und Menschenwürde.

Es bleibt die  Frage nach der Qualität der intellektuellen Struktur, wenn solche Menschen völlig naiv  verfassungswidrig und kriminelle publizieren und somit gesellschaftlich untragbar sind. Die leben ja von Steuergeldern.

Grundgesetz Art. 3

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) 1Männer und Frauen sind gleichberechtigt. 2Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) 1Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. 2Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Geschlecht

Art. 3 Absatz 3 GG verbietet ein Anknüpfen an das Geschlecht. Dieses Verbot erfasst alle Maßnahmen, die Frauen oder Männer ungleich behandeln. Hierfür kommen sowohl unmittelbare als auch mittelbare Ungleichbehandlungen in Betracht. Auch eine geschlechtsneutrale Maßnahme kann eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts darstellen, wenn sie faktisch ein Geschlecht benachteiligt oder bevorzugt.

BGG § 838 ff

Überschreitet ein Amtsträger die Grenzen seiner Amtspflicht, so liegt Amtspflichtverletzung vor.

haftungsrechtlich … von Bedeutung, wenn es sich um eine vorsätzliche Pflichtverletzung handelt.

Tim Theo Tinn

200 Jahre UNIVERSITÄT BONN

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Das Rektorat bei der Eröffnung. Copyright: Andrea Matzker


Der Päpstliche Nuntius und der Kölner Kardinal beim Festakt. Copyright: Andrea Matzker

200 Jahre Universität Bonn

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger

Am 18. Oktober des Jahres 1818 gründete Friedrich Wilhelm III. von Preußen die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Das Wort „Wir“ aus der Präambel der Stiftungsurkunde ist auch das Motto des 200. Jubiläums und spricht für den fulminanten Aufstieg und die Bedeutung der Bonner Universität als eine der angesehensten deutschen Forschungsuniversitäten, die zwei Nobelpreisträger hervorgebracht hat, 550 Professoren, 6500 Mitarbeiter und über 38.000 Studierende in rund 200 Studienfächern mit internationaler Ausrichtung beschäftigt.


Der Bundespräsident und Magnifizenz beim Festgottesdienst. Copyright: Andrea Matzker


Der Bundespräsident bei seiner Festrede. Copyright: Andrea Matzker

Das Jubiläum wurde demnach auch entsprechend gewürdigt. Zum ökumenischen Festgottesdienst in der Kreuzkirche am Hofgarten sprach unter anderen der Alumnus und Erzbischof von Köln Dr. Rainer Maria Kardinal Woelki im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Oberbürgermeister der Stadt Bonn und dem Rektor der Universität Prof. Dr. Michael Hoch. Anschließend fand im ehemaligen Plenarsaal des Bundestages, dem heutigen WCCB, der Festakt mit der Festrede des Bundespräsidenten statt. Der Festredner erinnerte an die Friedensdemos der 1980er Jahre im Hofgarten und würdigte 200 Jahre exzellenter Forschung und Lehre im Namen von Freiheit und Demokratie. Der Weg dieser Uni sei eng verwoben mit Deutschlands langem Weg zur Demokratie.


Die Sondermarke zum Jahrestag der Universität. Copyright: Andrea Matzker

Der internationale Chor der Universität Bonn sang, dem Motto der Alma mater entsprechend, „Die Gedanken sind frei“, die „Ode an die Freude“ und das traditionelle Studierendenlied „Gaudeamus igitur“, das speziell anlässlich des 200. Geburtstages der Universität Bonn neu bearbeitet worden war. Nach der Abreise des Bundespräsidenten fand am Nachmittag in der Aula der Universität die traditionelle Eröffnung des Akademischen Jahres statt. Im Anschluss erhielt jeder Teilnehmer eine eigens aus Anlass des Jubiläums gedruckte Sonderbriefmarke mit Ersttagsstempel. Die Festivitäten klangen aus mit einem Empfang in der Säulenhalle und im Rosenhof des Hauptgebäudes der Universität, dem ursprünglichen kurfürstlichen Schloss.


Alumnus Luigi Pirandello in der Blauen Grotte. Foto: Andrea Matzker.jpg

Zum runden Geburtstag werden neben vielen weiteren Vorträgen und Veranstaltungen noch bis zum 21. Oktober 2018 in der sogenannten Blauen Grotte des Hauptgebäudes in einer Ausstellung mit dem Titel „Bedeutende Bonner Alumni“, darunter auch Luigi Pirandello, präsentiert. In Verbindung mit der Universität organisiert das Italienische  Kulturinstitut Köln eine Ausstellung zu Dario Fo, die am 15. November eröffnet werden wird. Ergänzt wird sie durch ein zweitägiges Seminar unter der Leitung von Prof. Dr. Paul Geyer im Februar 2019.


Dario Fo. Copyright: Andrea Matzker

Mit Theateraufführungen beleuchtet es die unterschiedlichen Aktivitäten dieses charismatischen Allroundkünstlers und Nobelpreisträgers. Somit wird die lange und bedeutende Tradition

Miron HAKENBECK über den neuen Stuttgarter „Lohengrin“

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„Das Scheitern eines kollektiven Versuches“:

der Dramaturg Miron Hakenbeck über den neuen „Lohengrin“

an der Oper Stuttgart

 

Am Tag der Premiere von „Lohengrin“ an der Oper Stuttgart durfte man auf dem Weg dahin zwei konträre Welten erleben. Man wurde Zeuge von Klang-Polaritäten in der Art der „Konkreten Musik“. Rechts näherten sich die Rufe von Demonstranten und ein trommelnder Schlagzeugorchester-Klang dazu, links erklang ein Stereosound von Pop-, Retro- und Volksmusikmotiven.

Einerseits marschierte eine organisierte Kolonne von Menschen mit politischen Forderungen und konkreten Zielen, andererseits, bummelte eine typisch gedankenlose und heitere Masse der Konsumgesellschaft.

Diese zwei erlebten Eindrücke diskrepanter Art wirkten weiter bei der Premiere von „Lohengrin“ und muteten wie eine paradoxe Folge dessen an, was auf der Straße geschah.

Selbstverständlich konnte das Produktionsteam nicht vorhersehen, dass an dem Tag der Premiere vor dem Opernhaus zugleich eine politische Demonstration und ein historisches Schwäbisches Erntedank-Volksfest stattfinden würden. Aber diese komplementäre Situation (Kunst/Realität) inspirierte zum Gedankenaustausch mit Miron Hakenbeck, dem Dramaturgen der Neuproduktion von „Lohengrin“ an der Stuttgarter Oper.


Miron Hakenbeck. Foto: © Matthias Baus

Adelina Yefimenko: Miron, während der Opernvorstellung konnte ich einem Gedanken nicht entgehen, dass diese beiden konträren Menschen-Gruppen „von der Straße“ viele Parallelen zu den Protagonisten der Neuproduktion „Lohengrin“ aufweisen. Der sozialkritische Appel des ungarischen Regisseurs Árpád Schilling wurde transparent ausgedrückt. War es wirklich seine Absicht?

 

Miron Hakenbeck: Von dem Volksfest in der Stuttgarter Innenstadt und dem Protestumzug am Premierentag konnten wir im Vorfeld der Proben und im Probenprozess tatsächlich nichts wissen. Wofür oder wogegen wurde da eigentlich demonstriert? Ich denke in Ihrer Beobachtung treffen zwei Dinge zusammen: Zum einen war für den Regisseur Árpád Schilling das Verhältnis der durch den Chor dargestellten Gemeinschaft im Lohengrin zu den Schicksalen der Protagonisten von Anfang an zentral. Ihn interessierte vor allem die Verhaltensweise dieser die ganze Oper über sehr präsenten Menge, die Motivationen ihrer Handlungen und Äußerungen. Das ist natürlich ein politisches Thema: Wie findet eine Gemeinschaft zu Ausdrucksformen ihrer Meinungen und Interessen – und wann bildet eine Menge von Menschen eigentlich eine Gemeinschaft? Zum anderen sind wir in Mittel- oder Westeuropa in den letzten Jahren vielleicht wieder sensibler geworden für die Möglichkeiten kollektiver politischer Verlautbarung im öffentlichen Raum. Nach Jahren, in denen es kaum noch sinnvoll schien, für etwas auf die Straße zu gehen, erleben wir wieder die unterschiedlichsten Formen und Motive kollektiver Versammlung. Wobei ich die Menschen, die das Volksfest besucht haben, nicht als unreflektierte Konsumenten in Gegensatz bringen würde zu den Menschen, die sich da zu einer Demonstration zusammengetan haben. Beides sind Erscheinungsformen eines zivilen gemeinschaftlichen Lebens: Man kann etwas feiern und sei es das traditionelle Erntedankfest in Form eines Jahrmarkts mit Imbissbuden, und man kann gemeinsam politischen Interessen auf der Straße Ausdruck verleihen. Und mit dem Ereignis der Premiere korreliert ja irgendwie beides: auch die Oper ist ein feierlicher, ritueller Akt. Vor allem aber wird im Idealfall auch hier in der Oper, wie Sie es wahrgenommen haben, so wie auf den Plätzen draußen Öffentlichkeit verhandelt – und auf diese Weise hat auch Wagner für sich Musiktheater verstanden. Auch wenn man zugeben muss, dass dies im Fall der Opernpremiere vor einer Öffentlichkeit von knapp 1500 Zuschauern geschieht, die dafür teilweise hochpreisige Karten gekauft haben.


„Lohengrin“. Die Einführung. Miron Hakenbeck mit dem Publikum. Foto: © Adelina Yefimenko

 

Adelina Yefimenko: Lohengrin sowie Telramund (Martin Gartner) und König Heinrich (Goran Jurić) sind alle Jedermänner in der Regieführung von Arpad Schilling. Lohengrin stellt sich auf Seite Elsas, von jemanden aus dem Brabanter-Volk (Chor) blindlings nach vorne gestoßen. Der Gralsbote wird somit absichtlich entmythologisiert. Der Lohengrin-Darsteller Michael König war auch ein Jedermann als Sänger ohne die Größe und Stärke sonstiger Wagner-Heldentenöre. Warum vertritt Jedermann aus dem Volk den Gralsritter Lohengrin in der Neuinszenierung?

 

Miron Hakenbeck: Árpád Schilling und sein Team haben zusammen sehr unterschiedliche Überlegungen angestellt, ob man für die Gralsritterschaft in Montsalvat, die Lohengrin am Ende der Oper zum Ort seiner Herkunft erklärt, in Relation zur Situation der Brabanter eine konkrete heutige Übersetzung finden sollte. Die Brabanter, sind das wir? Ein angesichts der unklaren Situation des gesellschaftlichen Wandels unsicheres Europa? Wer wäre dann Lohengrin und was die scheinbar moralisch und ethisch unanfechtbare Welt der Gralsritter, die für das Gute kämpfen? Was wäre dieser Ort, der für die normalen Bewohner Brabants nicht erreichbar ist? Für einen Moment schien es uns, Lohengrin müsste eigentlich aus Westeuropa kommen, das in vielen Belangen des Lebens ja trotz unleugbarer Probleme ziemlich gut eingerichtet ist und für viele Menschen aus anderen Regionen der Welt ein Sehnsuchtsort ist, gar nicht so sehr aus materiellen Gründen, sondern weil hier ein bestimmter Grad an Freiheit, auch an persönlicher Freiheit, Sicherheit und zivilem Miteinander garantiert ist. Aber vielmehr als das Rätsel dieser wundersamen Herkunft Lohengrins interessierte Schilling der Zustand dieser Gemeinschaft, in der Elsa lebt, und irgendwann schien es vollkommen nahe zu liegen, dass die Hilfe für Elsa aus der Mitte dieser Gemeinschaft kommen muss. Und damit stand die Entscheidung, dass die Gemeinschaft jemandem aus den eigenen Reihen diese Lohengrin-Rolle zuweist. Wagners Konzept einer Hilfe für Elsa von außen, also durch ein Wunder oder einen engelsgleichen Gottgesandten würde uns nichts erzählen über Mechanismen wie Solidarität, das opportune Nicht-Handeln oder kollektives Versagen aus Verängstigung. Die Gralsgemeinschaft, von der Lohengrin am Ende spricht, kann damit zugleich ihren utopischen Charakter behalten. Aber eben nicht als tatsächlicher Herkunftsort sondern als eine Vision, formuliert von einem Menschen wie alle anderen.

 

Adelina Yefimenko: Die Reaktion des Volkes auf ein „Lohengrin ohne Geheimnis“ und einem „Lohengrin, wie einem von uns“ war jedoch sehr positiv. Ein Symbol der Volksbefreiung kreierte der Regisseur zusammen mit der Kostümbildnerin Tina Kloempken durch allmählich eingeführte Farben, die das einheitliche Grau des ersten Aktes nach und nach auflösten. Sollte ein bunter geschmackloser Farben-Mischmasch eine Verwirrung oder Freiheit offenbaren, die die Frauen in die graue Männergesellschaft brachten? Sollen Frauen dadurch stärker als Männer verstanden werden? Im dritten Akt lässt sich die Männergesellschaft von Frauen und deren „Flavours“ beeinflussen. Was bedeutet diese Farb-Dynamik in der Regie von „Lohengrin“? Bleibt das Wesen der Brabanter der Verwandlungs-Idee fern?

Miron Hakenbeck: Wir sehen Menschen, die sich zunächst alle recht ähnlich kleiden. Das muss gar nicht so gelesen werden, als würde es einen Mangel in der Textilbranche geben oder die Verordnung bestimmter Farben. Durch diese Farbwahl fällt aus der Menge niemand heraus, niemand unterstreicht seine Individualität oder zelebriert vielleicht, wie es Jugendliche oft für sich ausprobieren, einen Stil als Gegenentwurf zum Normalen und probiert so für sich verschiedene Facetten von sich selbst aus. Man will nicht auffallen und zieht sich wie der Nachbar an. Damit muss man sich auch nicht mit seinen Handlungen hervortun. Das ändert sich, nachdem Lohengrin in Erscheinung getreten ist. Diese Änderung geht von den Frauen aus. Vielleicht, weil sie im ersten Akt von Lohengrin nichts zu melden haben: In der Verhandlung zwischen Telramund und König Heinrich tun nur die Männer ihre Meinungen kund. Gleichzeitig zeigt die Inszenierung eine starke Solidarität der Frauen mit Elsa von Beginn an: Sie bringen Elsa als Gruppe gemeinsam zum Gericht, als wollten sie sie beschützen. Und indem Elsa von Schuld freigesprochen wird, keimt vielleicht auch bei ihnen die Hoffnung, Dinge beeinflussen zu können. Die Frauen versuchen sich also als erste individueller zu zeigen, agieren dabei aber trotzdem sehr gemeinschaftlich. Ich habe die entschiedenen Farben ihrer Kostüme auch gar nicht als geschmacklos, sondern wirklich als befreiend empfunden. Natürlich: Im dritten Akt stehen Männer wie Frauen extrem bunt gekleidet da, jubeln aber weiter dem König und seiner Feldzugsrhetorik zu, nehmen Lohengrin die Erklärung für sein Fortgehen unkritisch ab und sind darin letztlich genauso passiv wie zu Beginn. Als wäre die Veränderung nur an der Oberfläche geschehen. Aber braucht es nicht oft auch symbolischer Veränderungen, ist es einfacher äußerliche Veränderungen wahrzunehmen und zu registrieren: nach der Wende in Osteuropa waren das Reisen, ein neuer Lebensstil, den man lange nicht leben konnte, ein Auto, Jeans – jeder hat die individuellen Freiheiten genossen, aber ein Verständnis für den Wandel der gelebten Werte konnte sich erst rückwirkend einstellen. Auch ein gemeinsames intensives Verhandeln, welche Werte man gemeinsam leben will, gab es nur für wenige begrenzte Zeiträume. Aber das soll auf der Bühne nicht schlichtweg Kapitalismuskritik behaupten, sondern zeigen, dass Veränderungen als Prozess nicht einfach irgendwann abgeschlossen und perfekt sind. Aber das ist sehr komplex – wir sehen ja hier, wie die Menge der Brabanter den Prozess der Veränderung fast reflexhaft selbst generiert, dann dem selbstkreierten Helden aber bedingungslos folgt. In vielen Gesellschaften sind die Dinge unter anderem auch durch kollektive Bewegungen ins Rutschen geraten, haben so ihre Dynamik bekommen: Demonstrationen, Proteste, Fluchtbewegungen. Aber dann hat man vielleicht recht schnell den unvermeidlich scheinenden Gesetzen des Marktes oder der realen Politik vertraut und ist den politischen Akteuren gefolgt, die die überzeugendsten Antworten hatten. Man kann sich nicht jeden Tag aufreiben in basispolitischen Auseinandersetzungen.

Fotos © Matthias Baus

Adelina Yefimenko: Lohengrins Art des Sieges über Fridrich Telramund hinterließ offene Fragen. Im dritten Akt schleicht Telramund heimlich ins Schlafzimmer. Lohengrin schien aber in keiner Weise von der Gewalt Telramunds bedroht zu sein. Telramund überfällt Lohengrin nicht, sondern spioniert, lauscht neugierig (von seiner Gattin Ortrud dazu angestachelt) dem Streit zwischen Elsa und Lohengrin. Lohengrin tötet Telramund, von Elsa angestachelt. Sie – ursprünglich ein Symbol der Unschuld – legt das Messer in die Hand Lohengrins. Was steckt hinter der Idee einer solchen Transformation des Elsa-Charakters? Übrigens, das Messer hat sie bei sich bis zum Finale, bei dem sie sich vor der wütenden Menschenmasse, die sich ihr bedrohlich nähert, schützen und sich gegebenenfalls verteidigen muss. Oder widersetzt sich Elsa (überzeugend von Simone Schneider) allen als Kämpferin?

 

Miron Hakenbeck: Warum ist Elsa ein Symbol der Unschuld? Elsa wurde durch Telramund und Ortrud schweres Leid zugefügt. Ihr Bruder ist verschwunden, und mitten im Zustand ihrer Trauer wird sie plötzlich des Mordes angeklagt. Nachdem sie freigesprochen ist, ringt Elsa vielleicht mit sich um ein Gefühl von Vergebung und Nachsicht: Schilling lässt Elsa nach dem Kampf Lohengrin bitten, Telramunds Leben zu verschonen, später verspricht sie, Ortruds Lage zu bessern. Aber es wäre nicht ungewöhnlich, wenn sie um die Überzeugung, dass es ein „Glück, das ohne Reu“ gibt, ringen muss und sie vielleicht hin und her gerissen ist zwischen gemischten Gefühlen und ihrem Anspruch an sich selbst. Warum soll sie nicht auch Rachegefühle gegenüber Telramund haben? In dem Moment, in dem sie sich fragend gegen Lohengrins Gebot gestellt hat, gibt sie ihm die Waffe gegen Telramund, der sie beide belauscht hat. Das Glück erweist sich nicht also so rein wie erhofft, die Hochzeitsnacht endete in der Auflehnung. Daran muss jemand schuld sein, vielleicht ist es Telramund, also muss er sterben. Ich glaube es ist wichtig, scheinbar glasklare Behauptungen wie „Ortrud, die Dämonische“ oder „Elsa, die Unschuldige“ genauer zu betrachten. Wagner schafft psychologisch komplexe Figuren, die nicht einfach nur gut handeln oder aber abgrundtief böse sind. In ihnen mischen sich diese Aspekte. Dass Telramund bei Schilling unbewaffnet im Brautgemach auftaucht und von Lohengrin erstochen wird, betont den ja durchaus existierenden tragischen Aspekt dieser Figur: Ein relativ alter Mann, der immer glaubte, ein Anrecht auf die Macht zu haben, weil er zeitlebens loyal zu den Herrschern Brabants war, der auch hoffte, sexuell ein Anrecht auf Elsa zu haben, sieht seine Welt mit einem Mal zusammenstürzen und kann nicht begreifen, warum das so ist. Da nähert er sich wie ein Voyeur Lohengrin und Elsa in ihrer Hochzeitsnacht, als wolle er körperlich begreifen, warum er nicht selbst als der strahlende Held mit Elsa auf dem Bett sitzt. Zu Lohengrins Sieg über Telramund im ersten Akt würde ich entgegnen, dass der symbolisch dargestellte Kampf doch sehr eindeutig entschieden wird durch ein Votum der Brabanter: Noch bevor die beiden Kontrahenten handgreiflich werden, laufen alle Männer und Frauen Brabants zu Lohengrin über und entscheiden damit anstelle Gottes den Ausgang des Kampfes. Stellen Sie sich einen Boxkampf vor, bei dem plötzlich das ganze Publikum auf eine Seite des Ringes laufen würde und so seine Parteinahme ausdrückt! Ein Kämpfer ohne Fans – das muss einen psychologisch schon zur Niederlage führen.

 

Adelina Yefimenko: Am Ende geht Lohengrin dahin zurück, wo er herkam –zum Volk (ob sie grau oder bunt ist, spielt offensichtlich keine Rolle mehr). Es gibt einen alten amerikanischen Film Pleasantville, in dem die Menschen unter dem Einfluss der Liebe und Freiheit aus einem Schwarz-Weiß-Film allmählich in die Farbenwelt eines Farbfilms übergehen. Bringt also Lohengrins Ankunft die Hoffnung? Auf Liebe? Auf Rettung?

 

Miron Hakenbeck: Das Ende ist natürlich erst einmal sehr pessimistisch: Es gibt keinen singulären Helden, der die Probleme löst. Aber derart pessimistisch ist es bei Wagner auch. Nur dass Wagner seinen Helden noch verkünden lässt, irgendwo würden Menschen leben, die wissen, wo es lang geht und dabei von Gott autorisiert seien. Dahin muss dieser Held nun zurück. Elsa bricht tot zusammen. In der Konzeption Wagners kehrt noch Elsas Bruder unter die Lebenden zurück, singt aber keine Silbe mehr. Wenn Lohengrin in Schillings Inszenierung in die Menge zurückkehrt aus der er zuvor hervorgegangen war, dann ist dies vielleicht unter anderem ein Zeichen dafür, dass es nicht einfach ist, die Rolle eines Retters oder Führers zu übernehmen und dass es vielleicht anderer Konzepte braucht, wie man zu Gerechtigkeit und sozialem Frieden kommt. Aber trotz allem könnte einem die Tatsache von Lohengrins Erscheinen aus der Menge zu Beginn des Stückes doch rückwirkend auch Hoffnung machen: Dass alle gemeinsam symbolisch das Wunder der Ankunft eines Retters denken können und dann sogar realisieren in dem Vorgang, Lohengrin gemeinsam zu erschaffen. Was verschieden interpretiert werden kann: Ist er einer der Brabanter, der von den anderen die Rolle aufgezwungen bekommt, oder ist dieser Moment sogar die Geburt eines symbolischen kollektiven Geschöpfes im Sinne eines Golems? Die Brabanter tragen in sich also die Kapazität zum Hoffen, die dann solche Bilder von Rettung hervorbringt. Dieser Lösungsansatz des einsamen Helden ist vielleicht nur nicht zeitgemäß. Sie müssten andere Lösungen phantasieren. Dieses Phantasieren eines Auswegs führt ihnen zunächst auch Elsa vor, die mit ihrem Traum von einem Ritter konkret alle Männer anspricht: Jeder von euch könnte das sein!

 

Adelina Yefimenko: Die böswillige Ortrud – die eigentliche Protagonistin, gesungen von der hervorragenden Mezzo-Sopranistin Okka von der Dammerau von der Bayerischen Staatsoper, war überzeugend und stark. Logisch und nachvollziehbar ist, dass sie um ihre Rechte kämpft. Zunächst schützt sie ihren gedemütigten Mann Telramund. Später nimmt sie Rache für seine Ermordung und nützt den Vorteil des Augenblicks für sich geschickt aus. Sie ist eine Frau, die immer die politische „Verwirrung und Unentschlossenheit“ in der Masse erkennt. Zur offiziell benötigten männlichen Unterstützung zieht sie sich aus dem Volk wieder einen Jedermann – einen zufällig ausgewählten Glückspilz, der zum neuen Herzog von Brabant erklärt wird. Warum passiert das so? Fehlt eine würdige Herrscherpersönlichkeit in der Männerwelt? Eine ähnliche Situation im Streit um Machtgewinn, kann man oft im Wahlkampf verschiedener politischen Parteien beobachten.

 

Miron Hakenbeck: Sicherlich wird Politik nie ohne Repräsentation der Vielen durch wenige möglich sein, auch wenn Machtfülle und Machtmissbrauch dabei beschränkt sein können. Zunächst warten die Brabanter in Schillings Inszenierung am Ende auf Hilfe von außen, konkret, von oben, auch als Reaktion darauf, dass Ortrud von den alten Göttern spricht, die durch den Abfall der Menschen beleidigt wurden. Alle schauen in den Himmel: Vielleicht kehrt man nach so einer herben Enttäuschung wie Lohengrins Scheitern am besten einfach bereuend zu den alten Göttern oder Götzen zurück, und damit löst sich alles von selbst. In letzter Zeit ist es ja zum Beispiel en vogue Stalin wieder als den Prototyp eines wirkungsvollen Herrschers zu benennen: Neue Wege politischer Entscheidungsfindung funktionieren nicht so konfliktfrei, da träumt man sich in die krudesten Zeiten zurück. Ortrud ist sehr geschickt: Als Lohengrin bereits aus der Menge heraus vom neuen Herzog singt, greift sie sich jemanden, dem dieser Titel zugeschrieben werden kann. Warum hat sie nicht sogar den Mut, diesen Titel einfach allein zu tragen?

 

Adelina Yefimenko: Bekanntlich erkennt Wagner der Ortrud die Liebesfähigkeit ab. Ortrud sei ein Weib, das „die Liebe nicht kennt. Hiermit ist Alles, und das Furchtbarste gesagt. Ihr Wesen ist Politik. Ein politischer Mann ist widerlich; ein politisches Weib aber grauenhaft: diese Grauenhaftigkeit hatte ich darzustellen“ – so der Bayreuther Meister. Für Árpád Shilling ist Ortrud eine herrschende Manipulatorin, die echte Macht hat, egal welcher Jedermann an ihrer Seite steht. Warum ging der Regisseur jedoch gegen Wagners Willen vor und machte Ortrud zum wichtigsten „politischen“ Charakter, genauer gesagt, zur „politischen Frau“?

 

Miron Hakenbeck: Von heute aus gesehen, können wir dazu nur sagen: Warum kann und darf eine Frau nicht genauso politisch agieren wie ein Mann? Egal, ob wir nun dabei einen negativen Politikbegriff meinen im Sinne politischer Einflussnahme aus Eigeninteresse oder ob wir mit „politisch“ jemanden meinen, der oder die Verantwortung für die Gemeinschaft übernimmt und die eigenen Fähigkeiten als Führungsperson für alle anwendet. Es ist doch merkwürdig, dass man auch heute noch bei Frauen, sobald sie sich politisch engagieren, immer irgendein Defizit sucht: sie sind eigentlich zu maskulin, würden irgendeinen Mangel mit Macht ausgleichen, ein Problem mit Männern haben etc. etc. Árpád Schilling hatte für Ortruds Verhalten mehr als Verständnis.

 

Adelina Yefimenko: Alle Wagner-Opern enden mit einer Hoffnung. Immer hören wir zum Schluss einen Dur-Klang – sogar nach der Apokalypse in der „Götterdämmerung“, und sogar in der tragischsten Oper „Parsifal“. Die neue Inszenierung lässt aber keine Hoffnung mehr zu und keine Zuversicht auf eine bessere, gerechtere Menschenwelt. Zudem entwickelt sich die fatale Frage Elsas nach dem „Nam’ und Art“ von Lohengrin zum banalen Familienstreit. Elsas Bruder kommt nicht wieder. Ortruds Manipulation des passiven Volks prophezeit den Untergang (die Dämmerung) von Brabant. Auf der Bühne wird symbolisch ein tiefer grauer Abgrund gezeigt, dessen Ende keiner sieht. Der Pessimismus des Finales nimmt den Glauben an eine gute Zukunft. Warum?

 

Miron Hakenbeck: Ich weiß nicht, ob Wagners Lösung für das Ende uns heute hoffnungsvoll stimmen könnte, es sei denn wir suchen nach Hoffnung in der Art der Verheißung eines religiösen Mysteriums. Was erleben wir denn hier? Eine Frau wird nach der Hochzeit alleine gelassen, ein Kind wird aus der Schwanengestalt zurückverwandelt und als Herrscher eingesetzt. Was könnte dann passieren? Wird dieses Kind Gnade walten lassen mit Ortrud oder sie als erstes öffentlich massakrieren dafür, was sie ihm angetan hat? Das wäre mehr als naheliegend, aber wie soll daraus eine friedliche Zukunft entstehen? Wenn man Elsas Bruder wiederkommen lässt, dann bräuchte es wohl noch ein paar Stunden, in denen man die Handlung weitererzählen kann. In dem Stück stehen ja immer wieder schwere Klagen im Raum, die öffentlich verhandelt werden sollen, und tatsächlich taucht bei jedem politischen Umbruch die Frage auf, wie mit denen umgegangen werden soll, die vorher Macht und Verantwortung hatten. Man könnte diesen Kleindarsteller des Gottfried im Dialog mit dem Publikum nach Entscheidungen suchen lassen, wie es mit Brabant weitergehen soll. Das wird übrigens so ähnlich stattfinden bei einer Uraufführung der Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart im Frühjahr 2019: Antigone-Tribunal von Leo Dick. Aber bei Wagner – der die Tragödie von Antigone als Vorbild zu Lohengrin sah – schließt sich schnell der Vorhang. Können wir uns wirklich vorstellen, dass seine zeitgenössischen Zuschauer weniger erschüttert rausgingen, weil dieses Kind in letzter Minute auf die Bühne gelaufen kam? Zukunft ist ja immer existent, sie wird unweigerlich auf uns zukommen, die Frage ist eher, wie wir sie denken können, ob wir halbwegs eine Idee haben, wie wir sie gestalten wollen, wie wir sie mit der Vergangenheit in Verbindung bringen. Das wird auf die Brabanter auch zukommen. Zukunft kann als Aufgabe ganz schön beängstigend sein.

      

Fotos © Matthias Baus

Adelina Yefimenko: Wenn ich eine Rezension zur Premiere schreiben würde, hätte ich sie als „Devalvierung des Schwans im Königreich Ortrud“ betitelt. Das horrorartige Symbol der Inszenierung ist die Umwandlung des Schwans vom Kinderspielzeug bis hin zur Vogelscheuche. Dazu wurden nicht ein, sondern ein Dutzend künstlicher Schwäne auf die Bühne als primitive Hochzeitsrequisiten gebracht und nach der Hochzeit unter dem Bett Elsas und Lohengrins deponiert. Die Szene, in der Lohengrin nach der direkten Frage Elsas verzweifelt und daraufhin diese Schwäne gegen die Wand wirft, verbreitet eine erschreckende Stimmung von Grausamkeit. Welchen Sinn sollte diese Entwertung der Schwäne in sich tragen? Wie lautet die wichtigste Botschaft, die wir aus dieser Inszenierung über „Lohengrin“ in Erinnerung behalten sollen?

 

Miron Hakenbeck: Wenn der berühmte Schwan sonst nur als Symbol der Reinheit und Göttlichkeit Lohengrins angesehen wird, dann gibt es sicherlich eine „Abwertung“ dieses Symbols in der Inszenierung. Obwohl man es ja auch als einen Moment des Unheimlichen lesen könnte, wenn ein Mann von einem Schwan gezogen an Land kommt. Ich denke, in der Inszenierung ist der Schwan als Symbol nicht abgewertet, sondern eher aufgewertet oder mit Bedeutungen angereichert: Auf jeden Fall legt er als Kinderspielzeug im ersten Akt eine Verbindung zum verschwundenen Gottfried, wobei ich nicht weiß, ob alle Zuschauer diese Verbindung erkannt haben. Später sehen wir mal eindeutig tote Schwäne, auch wenn Elsa sie liebkost, mal lebensecht ausgestopfte – der Traum vom Schwanenritter besteht also nur als kitschiges Requisit oder steht mit dem Tod in Verbindung. Lohengrin wiederum zieht tote Schwäne unter dem Ehebett hervor und feuert sie zur martialischen Musik der zum Kriegszug aufmarschierenden Trompeten an die Wand: Weil er an die eigenen Rolle nicht glaubt und daran verzweifelt? Weil er den Traum vom strahlenden Retter nicht erfüllen konnte? Oder sind diese Vogelkavaver Ausdruck für andere „Leichen im Keller“? Für ungelöste Fragen oder ein Trauma dieser Gemeinschaft? Wo ist Gottfried wirklich? Wir haben versucht, gerade über die Schwäne eine morbide Verbindung zu Lohengrins Geheimnis zu legen, aber vielleicht war das zu enigmatisch. Ich weiß nicht, ob man die Auseinandersetzung mit fast vier Stunden Wagner, mit seinen Konzepten von Schuld und Erlösung, von Heil und Verfehlung in eine Botschaft packen kann. Ich glaube, es geht hier eher um eine Haltung: es gibt keine märchenhafte Heilsgeschichte zu erleben sondern das Scheitern eines kollektiven Versuches, der Lethargie zu entkommen und etwas zu bewegen, was aber nicht heißt, dass Menschenmengen immer dumm sind. Gemeinsam zu handeln, ohne dabei einfach nur einer Direktive zu folgen, ist wohl immer verdammt schwierig.

Das Gespräch führte Adelina Yefimenko

Die nächsten Termine von „Lohengrin“ der der Oper Stuttgart: 20.10.; 27.10; 3.11. 5.11.

 


„DAS WUNDER DER STIMME“ in der SZ vom 29. August 2018. Stellungnahme von KS. Bernd Weikl

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Das Wunder der Stimme SZ. 18. Sept. 2018, Zum Leserbrief von Johannes Martin Kränzle.

 Verstärker statt Naturgewalt“ in der SZ vom 29. August: Nach Lektüre des Interviews mit dem Sänger Bernd Weikl war ich sehr überrascht und befremdet, was der verdiente Sänger zum Teil behauptet. Die Mikrofone, die wir Opernsänger manchmal tragen müssen, sind lediglich für Tonaufnahmen gedacht und dienen keiner Verstärkung. Bei den Fernseh- und Radioübertragungen sind diese meist wegen einer besseren Klangqualität vonnöten. Leider sind Aussagen wie diese der Oper und dem ganzen Betrieb nicht förderlich, da auch das Publikum oft sehr unsicher wegen dieser Mikrofone ist und nun weiter auf falsche Fährten geführt wird.“


Bernd Weikl als „Holländer“ (Bild von Werner Herzog)

WEIKL: Die Aussagen vom Kollegen Kränzle überraschen und befremden allerdings mich jetzt wieder. Er kritisiert meine Aussagen und bestätigt diese gleichzeitig. Er gibt zu, dass Opernsänger sehr wohl Mikrophone auf der Bühne tragen (müssen), und dies eben nur zugunsten einer besseren Klangqualität.

Seit Jahrzehnten wurden (Nicht nur) Premieren vom Rundfunk aufgenommen und gesendet. Dabei wurden überall im Bühnenraum Mikrofone installiert. Aber die Sänger haben keine Mikrofone getragen. Und heute sind es Körpermikrophone zur besseren Klangqualität bei der Fernsehübertragung und einer zumindest dann nicht verbesserten Klangqualität für den Zuschauerraum? Selbstverständlich wird ein Publikum da zumindest nachdenklich.

Bei allen Übertragungen von zumeist Premieren sitzen Toningenieure am Mischpult und sind selbstverständlich in der Lage, die ausgebildete Sängerstimme auch in akustisch mangelhaften Bühnenbildern und nicht gerade hilfreichen Regiekonzepten einzufangen – wenn Körpermikrophone getragen werden. Mit der Aussage von Herrn Kränzle, dass diese Mikrophone am Körper der Mimen meist nur der Klangqualität dienen sollen, kann ich nichts anfangen.

Kammersänger Prof. Dr. Bernd Weikl, Hamburg

 

DAS NEUESTE VIDEO VON KS. BERND WEIKL MIT INTERESSANTEN AUFNAHMEN!

(auch mit Anekdoten über seine Zeit in der Wiener Staatsoper)

APROPOS: Audiatur et altera pars

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Audiatur et altera pars

Niemand möge mir bitte sagen, ich hätte etwas für Gustav Kuhn übrig, ich kenne ihn nicht, bin ihm nie begegnet, und Peinlichkeiten setzen in mir so ekelhafte Fremdschämen-Prozesse in Gang, dass ich mir nicht einmal das Interview ansehe, das er in der ZiB 2 gegeben hat. Ich war einmal vor langer Zeit (2003!) für einen „Ring“ in Erl, den ich – da gab es noch kein großes Festspielhaus – ein bisschen provisorisch, aber doch auch annehmbar fand, außerdem liebe ich Tirol, aber egal, darum geht es nicht.

Niemand soll meine Worte als Verteidigung eines Mannes missverstehen, der letztendlich voll „auf die Schnauze“ gefallen ist. An seinem Fall lässt sich nur so vieles über unsere Zeit aufzeigen. Zum Beispiel, dass Dir die beste Vernetzung in Politik und Wirtschaft nichts nützt – wenn Du wirklich glaubst, dass Du Dich auf Deine Buddies verlassen kannst: Wenn es ihnen selbst an die nackte Haut ginge, lassen sich Dich fallen. Und holen ganz schnell den nächsten Intendanten, damit es auch sicher kein Zurück gibt…

Interessant weiterhin, dass die meisten Beschuldigten eigentlich geschwiegen haben (klassische Fälle: Levine, Spacey). Dass aber die, die sich mit Zähnen und Klauen verteidigen, eigentlich nur unsympathisch wirken, ob es Kuhn ist, ob ein Politiker der Trump-Welt. Dabei geht es den Männern ja um ihre „Ehre“, ein einstmals kostbares Gut, vielleicht noch immer gültig für Menschen dieser Generation.

Wenn Kuhn sich nun (offenbar so ungeschickt, wie man es nur machen kann) „verteidigt“, heißt es natürlich, er wasche schmutzige Wäsche – wenn er die Opfer beleidigt, den Damen unterstellt, sie seien einfach nur rachsüchtig, weil sie Rollen nicht erhalten hätten, wenn er (noch schlimmer) erklärt, sein Ex-Chefbühnenbildner Jan Hax Halama (der gemeinsam mit Musikern und ehemaligen Angestellten der Festspiele einen offenen Brief über „übergriffiges Verhalten“ unterschrieben hat) , habe ihn erpressen wollen – „Er hat mir gesagt, wenn ich ihm 24.000 Euro zahle, dann sagt er nichts.“ Niemand glaubt Kuhn. Jeder hält ihn für einen Lügner. Er hat überhaupt keine Chance. Er ist erledigt.

Aber… hat er nicht wenigstens wie jeder Mensch ein Recht, sich zu verteidigen? Wenn er immer der Stärkere war und nun der Schwächere ist – muss man da triumphieren? (Hurra, der Hexenmeister ist tot, und wir haben ihn gekillt!) Ich konnte es nie ertragen (der Gerechtigkeitssinn der Schützen?), wenn auf jemanden, der am Boden liegt, noch draufgetreten wird…

Im Rathaus von Münster, in jenem Saal, wo einst 1648 der Westfälische Friede ausgehandelt wurde, steht auf einem Balken die lateinische Weisheit: „Audiatur et altera pars“ – auch die andere Seite soll gehört werden, ob es uns passt oder nicht. All die vor einer geifernden Öffentlichkeit verhandelten Fälle mit ihren Schuldzuweisungen und Vorverurteilen lassen ohnedies das ganz, ganz ungute Gefühl aufkommen, dass es mit unserem Demokratieverständnis nicht sehr weit her ist…

Und dass wir mit den sozialen Medien und hochgeputschten Institutionen (wie „#metoo“) Dinge geschaffen haben, die zu Vernichtungsmaschinen geworden sind, sollte uns langsam klar sein. „Gegen Haß im Netz!“ wird jetzt posaunt (und Sigi Maurer hat viel Geld dafür bekommen, obwohl sie selbst auch ausgeteilt hat) . Kennt denn niemand den „Zauberlehrling“ von Goethe? „Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.“

Wir haben sie wahrlich gerufen. Wer weiß, ob wir sie wieder einfangen und einsperren können. Oder ist das Spiel von Rache und der Möglichkeit zur Vernichtung zu schön?

Renate Wagner

APROPOS: Wie man’s richtig macht

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Wie man’s richtig macht

Auch die größten Stars sind nichts ohne ihre Fans, und das wissen sie. Jonas Kaufmann jedenfalls weiß es ganz genau. Sein Auftritt in der Pause der Met-Aufführung von „La Fanciulla del West“ hätte nicht besser sein können. Klar, dass er sich genau überlegt hat, was er tut. Aber man muss auch das Richtige tun: In wirklich souveränem Englisch, das der Majorität der Deutschen nicht eben so locker aus der Kehle kommt, mit der Gastgeberin plaudern. Über die Rolle, über die Partnerin, über was immer – nicht triefend überschwänglich, aber ungemein engagiert und glaubwürdig. Möglichst klischeebehafteten Schwulst vermeidend. Bestens.

Und dann am Ende noch Grüße, die sonst oft peinlich ausfallen. Nicht hier. Guten Abend nach Deutschland, nach Österreich, Grüezi in die Schweiz, Buona Sera nach Italien, Bon jour nach Frankreich, überhaupt nach ganz Europa, „Thank you, that you are here. It means a lot to me.“ Ein gescheiter Mann, der das ganz ehrlich herüberbringt.

Was hat unser Bundespräsident bei seiner Rede zum Nationalfeiertag postuliert? „Den Respekt und die Achtung, die wir von anderen Menschen erwarten, diesen Respekt und diese Achtung müssen wir auch anderen gegenüber aufbringen.“ Wenn man heute von Respekt redet, werden die Schulkinder, die ihre Lehrer durch alle Höllen schicken, nur hohnlachen. Kaufmann hat Respekt und Zuneigung zu den Opernbesuchern im allgemeinen und seinen Fans im besonderen gezeigt. So macht man’s richtig.

Verdächtigen Sie mich jetzt nicht, ein Kaufmann-Fan zu sein, meine Liebe lag nie bei Tenören (Pavarotti mal ausgenommen, das war ein opernerschütterndes Ereignis once in a lifetime, das musste einem einfach durch und durch gehen), sondern immer bei Baritonen (von Bastianini bis Keenlyside). Aber ich schätze große Leistungen, wo immer ich sie erlebe, und wenn ich einem Menschen begegne, wie Kaufmann sich da an der Met gezeigt hat, bin ich ganz glücklich…

Renate Wagner

BRASILIEN – Recife/Bundesstaat Pernambuco und Riberão Preto/Bundesstaat São Paulo: Meisterklassen Gesang

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Meisterklasse mit Radu Pantea in Recife. Foto: Klaus Billand

BRASILIEN – Recife/Bundesstaat Pernambuco und Riberão Preto/Bundesstaat São Paulo: Meisterklassen Gesang – 25.09.-4.10.  und 14.-19.10.2018

Nach der ersten Reise nach Recife im Januar/Februar diesen Jahres (online Merker 04/2018) mit dem Ziel, in Gesprächen mit den drei Musikschulen der Stadt die Möglichkeiten einer Verbesserung des klassischen Musikangebots zu eruieren und dazu entsprechende Vorschläge zu machen, reiste ich Ende September bis Ende Oktober wieder nach Brasilien, diesmal aber mit einem anderen Schwerpunkt. Da die Musikschulen ihren starken Wunsch zum Ausdruck gebracht hatten, dass u.a. Meisterklassen in Gesang für ihr Leistungsangebot wünschenswert wären, sprach ich den Dirigenten, Organisten und Klavierbegleiter Radu Pantea aus Luxemburg an, diesmal mitzukommen und solche Meisterklassen nicht nur in Recife, sondern auch in Riberão Preto im Hinterland des Bundesstaates São Paulo, zu halten. Ich hatte ihn als äußerst kompetenten Begleiter beim Gesangswettbewerb „Competizione dell’Opera“ 2014 in Tashkent/Usbekistan kennen gelernt. Radu ist der Sohn des bekannten rumänischen Baritons Ionel Pantea, der sich insbesondere im Mozartfach einen Namen machte. Den Anstoß zu Meisterklassen auch in Riberão Preto gab mein ehemaliger brasilianischer Arbeitskollege Sérgio Miranda da Cruz, der dort aufgewachsen war und in Gesprächen mit der Fakultät der Universität von São Paulo, Campus Riberão Preto, auf entsprechendes Interesse stieß. Die direkte künstlerische Arbeit mit den Gesangsstudenten durch die Meisterklassen würde auch weitere Erkenntnisse hinsichtlich der Art und des Ausmaßes der Verbesserung des klassischen Curriculums der Musikschulen geben. In Recife erhielten wir wieder die umfangreiche Unterstützung des Rechtsanwalts und Sponsors der Musikschulen ETECM und CEMO (Escola Técnica de Criatividade Musical, Centro de Educação Musical de Olinda) Tiago Carneiro Lima, dem besonders an der Intensivierung des klassischen Musiklebens in Recife gelegen ist. Dazu plant er ein längerfristiges Projekt.

Obwohl in der Zeit unseres Aufenthalts in Recife wichtige Prüfungen stattfanden, waren die Sänger und Pianisten stark an den angebotenen Meisterklassen interessiert, wofür Lima Carneiro im Übrigen ein Theater angemietet hatte, das Teatro Valdemar de Oliveira. Vier Pianisten, 16 Gesangsstudenten und drei Gesanglehrerinnen machten vom Angebot Gebrauch und wurden von Pantea in der Interpretation der von ihnen einstudierten Stücke im Hinblick auf Sprache und musikalische Gestaltung in mehreren halbstündigen aulas unterwiesen.


Basilika Madre de Deus in Recife. Foto: Klaus Billand


Das Innere der Basilika Madre de Deus vor dem Schlusskonzert. Foto: Klaus Billand

Die Meisterklassen wurden mit einem beeindruckenden Abschlusskonzert in der barocken Basilika Madre de Deus im Zentrum von Reife abgeschlossen, zu dem über 120 Besucher kamen und den jungen Sängern begeisterten Applaus spendeten. Neben Barock-Arien von Händel und Bach wurden vor allem Opernarien und -duette sowie Ensembles von Mozart, Verdi, Puccini, Bizet und Offenbach, aber auch Lieder von Schubert, Gounod, César Franck, Reynaldo Hahn und Richard Strauss gesungen. Als Zugabe sangen alle den Gefangenenchor aus „Nabucco“, der nicht einmal einstudiert worden war – ein großer Erfolg! Zuvor hatte Radu Pantea, der das Konzert am Flügel begleitete, auf der Empore der Basilika eine Merklin-Orgel um das Jahr 1860 entdeckt, die über 10 Jahre lang nicht mehr gespielt worden war. Er stimmte sie neu und gab zu Beginn des Konzerts Stücke von Bach und Händel sowie Giordani, mit der erst 19jährigen Sopranistin Yanne Cordeiro, der charismatische Vanessa de Melo und der strahlende Barock-Bariton Matheus Alvarenga. Insbesondere die an dem von Roseane Hazin geleiteten Conservatório Pernambucano de Música-CPM beschäftigte Gesanglehrerin Rosemary Carlos war mit den meisten ihrer Studenten vertreten. Gesanglich ragten bei den Damen besonders heraus: Elizete Félix, Gesangslehrerin mit dramatischem Sopran; Vanessa de Melo, kraftvoller Koloratursopran; Gleyce Melo mit exzellentem Spinto Sopran und Giovana Restrepo als Koloratursopran. Unter den Männern beeindruckten besonders Elias Marques und Bruno José als sehr gute lyrische Tenöre sowie der exzellente Bass Fernando Almeida. Die Sängerin und Gesangslehrerin Amarílis de Rebuá aus João Pessoa im Bundesstaat Paraíba wirkte bei einigen Meisterklassen mit und gab wertvolle Ratschläge.


Konzert im Krebs-Krankenhaus Hospital de Câncer de Pernambuco. Foto: Klaus Billand

Auf Anregung des Chefonkologen des Krebskrankenhauses von Pernambuco (Hospital de Câncer de Pernambuco – HCP), Dr. Marcelo Gonçalves de Sousa, fand mit den Gesangsstudenten dort ein weiteres Konzert statt, und zwar im Patio des alten Krankenhauses unter freiem Himmel bei herrlichem Sonnenschein – das erste seiner Art! Es war menschlich eine ganz starke Erfahrung, zumal einige der Patienten mit großer Rührung und gar Tränen in den Augen das Konzert verfolgten. Radu Pantea saß am Klavier, und ein Stück wurde auch von dem talentierten jungen pernambucanischen Pianisten Luis Felipe Oliveira dargebracht. Dieses Konzert zeigte klar auf, dass man klassische Musik auch bestens zur Therapie von schwerwiegend erkrankten Patienten einsetzen kann. Man will solche Konzerte in diesem Sinne am Krebs-Krankenhaus fortsetzen. Auch der von Maestro Jadson Oliveira geleitete Madrigal-Chor Lindbergh Pires von Recife, dessen Konzert zum 75jährigen Bestand der Katholischen Universität von Pernambuco wir im Teatro Santa Isabel erleben konnten, ist auf diesem philanthropischen Gebiet aktiv und will das HCP nun in sein Programm einbeziehen.

Die Erfahrung dieser Woche mit den Gesangsstudenten in Recife zeigte, dass Investitionen in die Musikschulen des Nordostens Brasiliens nicht ausreichen, wenn nicht auch die künstlerische Ausbildung der Musiker in Form von regelmäßigen Proben erfolgt. Dabei können Meisterklassen oder gar die Vorbereitung einer Oper eine bedeutende, auch motivationale Rolle spielen. So ist geplant, dass wir im März/April 2019 wieder kommen, um „Le nozze di Figaro“ vom W. A. Mozart mit den Studenten szenisch aufzuführen. Sie arbeiten bereits seit einiger Zeit daran. Die Aufführung ist im Teatro Valdemar de Oliveira in Recife mit Orchester unter der Leitung von Radu Pantea geplant.


Sänger und die beiden Pianisten (Bo Lyngby Jaeger und Giovana Ceranto)  vor Eintritt in das Auditorium in Riberão Preto. Foto: Klaus Billand

Mit einem Zwischenstopp beim luxemburgischen Botschafter Carlo Krieger in Brasília, D.F., der Hauptstadt Brasiliens, der großes Interesse für das Projekt bekundete, ging die Reise weiter nach Riberão  Preto. Der Besuch an der Fakultät für Musik wurde durch deren Leiter Rubens Russomanno Ricciardi angebahnt. Während der Meisterklassen dort mit etwa 15 Gesangsstudenten wurden wir aber ausschließlich von der Gesangslehrerin Yuka Almeida betreut, die sich nach all ihren Kräften um das Gelingen der Unterrichtsstunden und des Abschlusskonzertes kümmerte, für das Radu Pantea die „Petite Messe solenelle“ vom G. Rossini vorbereitete.


Das Programmheft. Foto: Klaus Billand

Obwohl die Studenten das Stück teils noch nie gehört hatten, waren sie in der Lage, nach den individuellen Meisterklassen und den speziellen Proben dazu, die „Petite Messe Solennelle“, die alles andere als petite (klein), sondern ein hochkomplexes 90 Minuten langes Stück ist, in nur fünf Tagen einzustudieren.


Radu Pantea dirigent die „Petite Messe solenelle“ von G. Rossini. Foto: Klaus Billand

Das finale Konzert am 19. Oktober wurde so zu einem großen Erfolg für die Studenten und Radu Pantea, sowie den dänischen Prof. Bo Lyngby Jaeger, der das 2. Klavier übernommen hatte. Marcos Vinícius Pessoa saß an der Orgel. Der Chor wurde auch von den Sängern gestellt. Unter den Sängerinnen ragten gesanglich heraus: Janaina Lemos mit nur 19 Jahren als heller lyrischer Sopran und Lilian Giovanini mit einem dramatischen virtuosen, auch barocken Spinto-Sopran (sie hat momentan ein Engagement in Leipzig). Bei den Männern beeindruckten gesanglich besonders: Rafael Stein als junger Tenor; Luis Felipe Sousa als für ein Alter mit 20 außergewöhnlicher Bass-Bariton. Als Sensation könnte man Felipe Rissatti mit seinem glänzenden Countertenor bezeichnen. Die Sänger wurden am 1. Klavier von der hervorragenden Pianistin und Cembalistin Giovana Ceranto begleitet. Bei entsprechender Weiterentwicklung und Unterstützung könnten sich hier einige internationale Karrieren entwickeln. Etwa 50 Personen kamen zu diesem Konzert. Bei entsprechender Vorankündigung am Campus der Universität von São Paulo in Riberão Preto, im Übrigen wunderschön in einer tropisch bewachsenen und denkmalgeschützten ehemaligen Kaffee-Fazenda gelegen, hätte das Publikum sicher zahlreicher sein können. Das trifft auch für den Minicurso de Ópera zu, ein Kurz-Kurs zur Oper, den ich wie schon in Recife im Februar, nun auch hier hielt. Er umfasste die gesamte Geschichte der Oper mit all ihren Untergattungen und zehn szenischen Beispielen anhand von YouTube cuts.


Radu Pantea während des Prélude Religieux der „Petite Messe solenelle“. Foto: Klaus Billand

Auf dem Rückweg über Rio de Janeiro besuchten wir schließlich noch Myrian Dauelsberg, die hier seit langer Zeit Dell’Arte, eine der bedeutendsten Musikagenturen Brasiliens, führt. Wenn es in Recife und Riberão Preto weiter geht, ist mit ihr auch eine Zusammenarbeit angedacht. Sie interessierte sich sehr für das Thema und die jungen Künstler.


Radu Pantea und Klaus Billand in Riberão Preto. Foto: privat

Unabhängig von institutionellen Aspekten wurde auf dieser Reise wieder klar, wie interessiert und engagiert die jungen Studenten für ihre Liebe zu Gesang und Musik LEBEN. Leider ist der Markt für Opernsänger in Brasilien allzu begrenzt und im Prinzip nur auf den Südosten und  Süden des riesigen Landes beschränkt. Vielleicht gelingt es aber dem einen oder der anderen, den Sprung nach Europa oder in die USA zu schaffen. Die Qualität und Reife dazu hätten sie eines Tages sicher! Es wäre zu hoffen, dass der Sektor der klassischen Musik im Lande unter dem neuen Präsidenten Jair Bolsonaro wieder mehr Mittel bekommt, nicht zuletzt unter einer besseren Anwendung des sog. Lei Rouanet, das schon seit 1992 besteht. Dass eines der schönsten und sogar größten Opernhäuser der Welt, das prachtvolle Theatro Municipal do Rio de Janeiro, dem Palais Grand Garnier – also der Grand Opéra von Paris nachempfunden – seit einiger Zeit wieder einmal wegen Geldmangels geschlossen ist, scheint für einen europäischen Opernliebhaber kaum fassbar. Es hat mit etwa 2.300 weit mehr Sitzplätze als die Wiener Staatsoper und ein Keller-Cafe, welches das Alte Ägypten auferstehen und „Aida“ ganz nahe kommen lässt… Jedes europäische Opernhaus würde es darum beneiden!                                                                                                                                                                                 

Klaus Billand

KÖLN: Der Ludwig-Mülheims-Theaterpreis 2018 geht nach Österreich – an Ferdinand Schmalz

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Ludwig-Mülheims-Theaterpreis 2018 geht zu Ferdinand Schmalz nach Österreich. Foto: Andrea Matzker

Köln: Der Ludwig-Mülheims-Theaterpreis 2018 geht nach Österreich – an Ferdinand Schmalz

Von Dr. Egon Schlesinger

Das Erzbistum Köln vergibt seit 1991 jährlich den Ludwig-Mülheims-Theaterpreis, dessen Nachlass das Erzbistum verwaltet. Der Preis soll die Begegnung zwischen zeitgenössischer Theaterlandschaft, Autoren und Religion fördern. In diesem Jahr erhielt der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz den mit 25.000 € dotierten Preis.

Ihre Wahl begründete die hochkarätige Jury damit, „dass der Theaterautor mühelos und voller Sprachlust Oberfläche und Tiefe des Daseins verbinde, und mit seiner Adaptation des Jedermann von Hugo von Hoffmannsthal reisse er das große, parabelhafte Mysterienspiel in eine verblüffend schlüssige Heutigkeit“.


Ferdinand Schmalz mit seiner Laudatorin Friederike Emmerling (S. Fischer Theater Verlag). Foto: Andrea Matzker

Friederike Emmerling vom S. Fischer Theater Verlag, die in Vertretung von Karin Bergmann, der künstlerischen Direktorin des Burgtheaters, die Laudatio hielt, hob dessen Schreibstil hervor: „Freudig offeriert er uns klug die fettesten Metaphern und theoriegetränkten Kalauer in einer Sprache prall wie Würstel und wie Zuckerwatte berauschend zart.

In seiner Dankesrede bedankte sich der Autor symbolisch bei der nicht anwesenden Direktorin des Burgtheaters dafür, dass sie ihm mit der Überarbeitung des „Jedermann (stirbt)“ ein Stück vom „Heiligtum Salzburg“ anvertraut hatte.


Die Intendanten Prof. Dr. Jürgen Flimm, Stephan Bachmann. Foto: Andrea Matzker

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